Was ist Forschendes Lernen?

Das Forschende Lernen verbindet die beiden zentralen Aufgaben universitärer Bildung: Lehre und Forschung. Lehrende sollen lehren, indem sie Studierende an ihrer Forschung teilhaben lassen, Studierende sollen durch eigenes Forschen lernen.

Einordnung des Konzepts „Forschendes Lernen“

Entstehung und Schemata

Forschendes Lernen ist keine neue Idee, sondern sie wird in Deutschland seit den Studienreformen der 1960er und 1970er Jahre diskutiert; damals wurden schon Merkmale des Forschenden Lernens formuliert, die heute noch relevant sind. Im englischsprachigen Ausland, vor allem in den USA, Kanada und Australien wird Forschendes Lernen in der Undergraduate Ausbildung breit eingesetzt.

Es existieren verschiedene theoretische Ansätze, Konzepte und Bezeichnungen für das Forschende Lernen. Wichtige Arbeiten zur Konzeptualisierung steuerten Alan Jenkins und Mick Healey bei.

Sie unternahmen im Jahr 2005 im Auftrag der Higher Education Academy in England den Versuch, das Verhältnis von Forschung und Lehre besser zu verstehen (research-teaching-nexus). Ihr „developing framework“ war der Versuch, die Vielfalt an curricularen Ausprägungen, die sich in der Lehre innerhalb des research-teaching-nexus weltweit finden lassen, abzubilden. Das Ergebnis ihrer Meta-Analyse fassten Sie in einem Vierfeldschema zusammen (siehe Abbildung 1).

In ihrem Schema, das durch die Achse „Emphasis on Research Content – Emphasis on Research Processes and Problems“ einerseits, und die Achse „Students as Participants – Teacher focused, Students as Audience“ andererseits bestimmt ist, positionieren die Autoren vier verschiedene Verständnisse der Verbindung von Forschung und Lehre (Healey 2005: 70). Dieses Vierfeldschema prägt heute noch die internationale Debatte im Verständnis der verschiedenen Formen vom Forschenden Lernen.

Werden Studierende zum Forschenden Lernen animiert, wird im Englischen jedoch nicht von „research“, sondern von „inquiry“ gesprochen. Damit wird eine Abgrenzung zur eigentlichen Forschung von Wissenschaftler_innen vorgenommen.

Abbildung 2: Forschendes Lernen, definiert in der Klassifizierung nach Rueß, Gess und Deicke (2016)
Abbildung 2: Forschendes Lernen, definiert in der Klassifizierung nach Rueß, Gess und Deicke (2016)

Auch im Deutschen kursieren in der Debatte um Forschendes Lernen vielfältige Begrifflichkeiten: Forschungsbasiertes Lernen, Forschungsorientiertes Lernen, Forschendes Lernen uvm. Die meisten Begriffe rekurrieren auf den oben aufgeführten Research Teaching Nexus (s. Abbildung 1)

Klassifizierung nach Huber

Huber (2014: 22-29) hat die Debatte um Begrifflichkeiten, unterschiedlichen Ausprägungen und Ansätze skizziert sowie typisiert. Er schlägt nach der Diskussion von vorliegenden Vorschlägen und Berücksichtigung der internationalen Debatte drei Typen vor:

  1. Forschungsbasiertes Lehren und Lernen (FBL)
    • Lehre aus Forschung / Lehre im Format der Forschung
    • Studierende werden mit Grundproblemen insb. den Ausgangsfragen konfrontiert
    • Studierende verfolgen den Weg, „wie aus einer Frage Forschung geworden ist“ und reflektieren die Differenz, wie aus gesellschaftlichen Problemen eine wissenschaftliche Problemdefinition geworden ist. (Huber 2014)
  1. Forschungsorientiertes Lehren und Lernen (FOL)
    • Stud. zur aktuellen Forschung führen
    • Aufmerksamkeit stärker auf Prozesse bei Wahl, Ausführung und Reflektion der Methoden
    • wissenschaftliche Arbeitsweisen werden zum Gegenstand
    • „research oriented“ nach (Healey 2005)
  1. Forschendes Lernen (FL)
    • Lernende forschen selbst
    • Fokus: Das eigene Tun der Studierenden
    • Durchlaufen idealtypisch den gesamten Lern- und Forschungszyklus
    • Erkenntnisse auch für Dritte interessant (Huber 2009)

Als Definition kann die Zusammenfassung von Ludwig Huber (2009: 11) herangezogen werden:

„Forschendes Lernen zeichnet sich vor anderen Lernformen dadurch aus, dass die Lernenden den Prozess eines Forschungsvorhabens, das auf die Gewinnung von auch für Dritte interessanten Erkenntnissen gerichtet ist, in seinen wesentlichen Phasen, von der Entwicklung der Fragen und Hypothesen über die Wahl und Ausführung der Methoden bis zur Prüfung und Darstellung der Ergebnisse in selbstständiger Arbeit oder in aktiver Mitarbeit in einem übergreifenden Projekt (mit)gestalten, erfahren und reflektieren.“ (s. auch Abbildung 2)

Allen drei Typen ist gemein, dass sie sich an Studierenden orientieren und auf tiefenorientiertes Lernen – sogenanntes „deep-level learning“ – ausgerichtet sind. Sie werden überwiegend in Kombination mit innovativen Lehrformen – bspw. Selbständiges Lernen, Aktives Lernen oder Kooperatives Lernen eingesetzt – und sind auf problemorientiertes und projektförmiges Arbeiten angelegt (vgl. Huber 2014: 28).

Huber schlägt als Oberbegriff und Ausdruck gemeinsamer Intentionen den Begriff Forschungsnahes Lehren und Lernen vor.

Klassifizierung nach Rueß, Gess und Deike

Eine weitere hilfreiche und empirisch basierte Klassifizierung verschiedener Formen forschungsnahen Lehrens und Lernens findet sich bei Rueß, Gess und Deicke (2016). Dabei unterscheiden sie hinsichtlich des Aktivitätsniveaus der Studierenden (rezeptiv, anwendend und forschend) und dem inhaltlichen Schwerpunkt (Forschungsergebnisse, -methoden und –prozess). Abgebildet wird die Matrix forschungsnahen Lehrens und Lernens in Abbildung 3.Im Folgenden wird hier unter dem Begriff des „Forschenden Lernens“ der obere rechte Quadrant der Übersicht von Rueß et al. (2014) verstanden: Studierende forschen mit einem hohen eigenen Aktivitätsniveau und durchlaufen dabei weitgehend den gesamten Forschungszyklus.

Healey, M. (2005): Linking research and teaching: disciplinary spaces, in: Barnett, R. (Ed.). Reshaping the university: new relationships between research, scholarship and teaching, 67-78. Maidenhead: McGraw-Hill/ Open University Press.

Huber, L. (2009): Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In: L. Huber, J. Hellmer, J., Schneider, F. (Hrsg.) (2009): Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrun-gen (S. 9 – 35). Bielefeld: UniversitätsVerlag Webler.

Huber, L. (2009): Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In: L. Huber, J. Hellmer, J., Schneider, F. (Hrsg.) (2009): Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen (S. 9 – 35). Bielefeld: UniversitätsVerlag Webler.

Huber, L. (2014): Forschungsbasiertes, Forschungsorientiertes, Forschendes Lernen: Alles dasselbe? Ein Plädoyer für eine Verständigung über Begriffe und Unterscheidungen im Feld forschungsnahen Lehrens und Lernens. In: Das Hochschulwesen, H. 1+2/2014, S. 22-29. Bielefeld: Universitätsverlag Webler.

Jenkins, A., Healey, M. (2005): Institutional strategies to link teaching and research. (wird in neuem Tab geöffnet) [Stand: 01.12.2019]

Ludwig, J. (2011): Forschungsbasierte Lehre als Lehre im Format der Forschung. Potsdam, Universitätsverlag (Brandenburger Beiträge zur Hochschuldidaktik, 3).

Rueß, J., Gess, C. und Deicke, W. (2016). Forschendes Lernen und forschungsbezogene Lehre – empirisch gestützte Systematisierung des Forschungsbezugs hochschulischer Lehre. In: ZfHE 11 (2), 23-44.