Zusammenhang von Lernmotivation und Lernverhalten

Lernen und Üben an der Universität unter Zwang – ein Unding ?!

Es ist ein alter Disput: Soll man das Lernen von Studierenden durch äußere Restriktionen regulieren, oder soll man es deren eigenen Interessen, Neigungen und Engagement überlassen ob und wie viel sie lernen – schließlich sind sie erwachsene Mensch? Die Antwort kann zunächst zum einen einfach über unsere schulischen und hochschulischen Strukturen gegeben werden, in welchen Prüfungen und Noten ein wesentliches Element sind, denn diese deuten darauf hin, dass unsere Gesellschaft nicht davon ausgeht, dass alle Menschen einfach eigenverantwortlich lernen. Zum anderen wissen wir aus eigener Erfahrung aus Schule und Studium, dass Lernen durchaus anstrengend sein kann, vor allem dann, wenn es um etwas geht, das uns weniger interessiert, oder, bei dem wir Merkprobleme (Sprachen) bzw. Verständnisprobleme (Mathematik) haben.

Dass ein erheblicher Unterschied zwischen einem Lernen aus eigenem Interesse und einem Lernen auf Aufforderung liegt, hatten die Reformpädagogen zu Beginn des 20. Jahrhunderts festgestellt und auch schulisch umgesetzt. Besonders bekannt und auch heute noch lebendig ist der Ansatz von Maria Montessori, der für Kinder Lerngelegenheiten schafft, die sie eigenständig aufsuchen und wahrnehmen können. In einer Montessori-Schule können alle Kinder interessengesteuert ihren eigenen Lernweg gehen, ohne Gleichtakt in Schulklassen oder Jahrgangsstufen und ohne Noten. Diese pädagogischen Ideen wurden und werden aktuell vor allem im Grundschulbereich, aber auch in darüber liegenden Stufen umgesetzt, sie finden jedoch auch immer wieder ihre Grenzen, vor allem im Hinblick auf unsere Leistungsgesellschaft, in der Schule und Studium auch nur bedingt als Selbstfindungsprozess, mehr und mehr jedoch als ein Wissens- und Kompetenzentwicklungsprozess vorzusehen sind.

Dass es zwischen einem Lernen aus Interesse und einem instrumentalisierten Lernen keine Zwischenstufe oder einen „sanften Übergang“ gibt, wurde u.a. von Prenzel (1996) nachgewiesen. Er stellte fest, dass Interesselernen (intrinsisches Lernen) im Regelschulbereich eher eine untergeordnete Rolle spielt, dem gegenüber jedoch zwei Formen extrinsischen Lernens (von außen beeinflusstes Lernen) deutlich überwiegen: zum einen das Lernen für Belohnungen oder zur Vermeidung von Nachteilen (kontrolliert extrinsisch) zum anderen das Lernen aus Einsicht in die Notwendigkeit (autonom extrinsisch). Dass ein Lernen aus Einsicht in die Notwendigkeit einem Lernen für Belohnungen oder zur Vermeidung von Nachteilen vorzuziehen ist, liegt auf der Hand. Zum einen, weil es zu einem gründlicheren Lernen führt, also zu einem Verständnislernen, keinem Auswendig-Lernen, zum anderen, weil nur diese Haltung in ein lebenslanges Lernen münden kann.

Empirische Befunde weisen jedoch immer wieder nach, dass an Gymnasien (z.B Artelt, 1996), aber auch an Hochschulen (z.B. Schiefele, Wild, 1994) kontrolliert extrinsisches Lernen keineswegs die Ausnahme ist. Dort, wo es möglich und (noten)wirksam ist, wird an Schulen viel auswendig gelernt, denn ein Verständnislernen ist vor allem im Hinblick auf eine reine Wissensreproduktion häufig aufwändiger und weniger wirksam. Angesichts des schulischen Leistungsdrucks wird überwiegend für die Prüfungen gelernt, und diese sind häufig auf die Reproduktion von Wissen ausgerichtet, nicht auf dessen Verständnis und Verinnerlichung.

Somit zeigt sich ein enger Zusammenhang zwischen dem, was Lernende als potenzielle Belohnungen oder Nachteile empfinden sowie deren Einsicht in die Notwendigkeit des Erwerbs spezifischer Kenntnisse oder Kompetenzen und dem, wie diese an das Lernen herangehen. In jedem Falle steht fest, dass es hier kaum ein „Entweder-Oder“ gibt, sondern vielmehr ein „Sowohl-Als-Auch“ vorliegen muss. Wie sich diese „Gemengelage“ im Einzelnen darstellt hängt vom jeweiligen Lerninhalt ab, dessen Komplexität und Schwierigkeitsgrad, von der Art und Weise, wie er gelehrt wird und schließlich von der spezifischen Prüfung.

Man kann also schließen, dass sich Lernen generell in einer Spannung zwischen Interesse, Pflichtgefühl und Zwang vollzieht, immer davon abhängig, wie die äußeren und inneren Bedingungen angeordnet sind. Relativ angenehme Situationen entstehen dann, wenn ein gewisses Interesse für das zu Lernende vorliegt, wenn sich die Dinge als gut zugänglich erweisen, wenn deren Bedeutung von den Lernenden für Gegenwart und Zukunft wahrgenommen werden und wenn man anhaltend Lernfortschritte wahrnimmt. Umgekehrt stellt es sich dar, wenn einer oder mehrere dieser Parameter nicht oder nur geringfügig vorliegen. Dann würde das Lernen in einer Situation, in der keine äußeren Zwänge vorliegen, reduziert oder gar eingestellt werden. Um genau dies zu verhindern, wurden schon früh Benotungen eingeführt, die – didaktisch gesehen – eine Ultimo Ratio im Hinblick auf die Lernmotivation darstellen, denn sie adressieren zunächst ein kontrolliert extrinsisches Lernen. Man weiß, wenn ich nun das Lernen abbreche, bekomme ich eine schlechte Note, also bleibt man dabei. Dieser instrumentelle Impuls des Erreichens einer finalen Note kippt jedoch keineswegs den Gesamtlernprozess und dessen motivationales Gefüge. Er bewirkt ja zunächst nur, dass der Lernprozess nicht abgebrochen wird, also, dass die „Gemengelage“ der Lernmotive beibehalten wird, zunächst durch eine Verschiebung in die kontrollierte Richtung, was jedoch immer wieder auch in ein autonom extrinsisches Lernen führen kann.

Ein Beispiel: Ein Studierender hat Schwierigkeiten, einen Zusammenhang in der Regelungstechnik zu verstehen, insbesondere, weil er die dazu erforderliche Mathematik nicht beherrscht. Da er aber weiß, dass die anstehenden Prüfungen nur bestanden werden können, wenn er den Zusammenhang versteht, bricht er das Lernen nicht ab. Um weiter zu kommen, setzt er sich mit einer Kommilitonin in Verbindung, die es ihm erklärt. Schon in der eigenen Beschreibung der Problematik stellt der Studierende fest, dass er schon Einiges verstanden hat. Mit der Erklärung des Kommilitonen schließen sich bei ihm die bestehenden Verständnislücken, er erkennt damit auch die Bedeutung des Themas besser und beginnt nun eigenständig, die entsprechenden Übungsaufgaben zu rechnen.

Eine Skeptikerin könnte hier feststellen, dass nur auf Grund des Notendrucks gelernt wird, konkret hatte jedoch der Notendruck nur auslösenden Charakter für einen Lernvorgang, der vom Lernenden insgesamt akzeptiert und eigenverantwortlich übernommen wird. Man könnte diesbezüglich auch ein Beispiel für umfassendes inhaltliches Lernen bereitstellen. Dort treten die Motivationsprobleme eher ausmaßbezogen, als verständnisbezogen auf. Aber auch hier wirkt sich im Regelfall die anstehende Benotung nicht als Gesamtmotiv aus, sondern vielmehr als ein Trigger, der die Lernenden im Lernprozess hält und damit Räume für eine entsprechende Auseinandersetzung mit den Themen schafft, an die man möglicherweise gar nicht heran gegangen wäre, wenn man den Lernprozess ohne Folgen hätte abbrechen können.

Dies führt zu einer Zwischenbilanz, in der festzuhalten wäre, dass

  • in Lernprozessen verschiedenartige Motive gleichzeitig vorliegen können, ohne sich gegenseitig auszuschließen,
  • sehr selten reines Interesse das Lernen bestimmt, häufiger extrinsische Motive, die sich in eine kontrollierte und eine autonome Ausprägung unterscheiden,
  • das jeweilige individuelle und situative Motiv-Gefüge von vielfältigen äußeren und inneren Bedingungen abhängt,
  • bei schwierigen Lern-Bedingungen bzw. –Situationen ein Lernabbruch dann sehr wahrscheinlich ist, wenn keine äußeren Zwänge wahrgenommen werden,
  • äußere Zwänge zunächst nur zu einem Verbleib in der Lernsituation führen, nicht aber deren gesamte Motivlage kippen oder korrumpieren müssen.

Daraus ist zu schließen, dass es in der Lehre gilt, zum einen möglichst gute Rahmenbedingungen für das Lernen zu schaffen, um die Wahrscheinlichkeit eines eigenverantwortlichen Lernens zu erhöhen. Zum anderen ist aber auch eine moderate Form von äußerem Zwang zu schaffen, der jedoch nicht als aversives Druckmittel, sondern vielmehr als Trigger wirkt, also die individuelle Motivation der Lernenden unterstützt, nicht aber ersetzt. Genau diese Feststellung wirft jedoch die zentralen Herausforderungen dieser Thematik auf:

  • Was sind gute Rahmenbedingungen für das Lernen an einer Universität? Welche didaktisch/methodischen Aspekte sind hier relevant?
  • Was kennzeichnet einen Lern-Trigger und was unterscheidet ihn von einem aversiven Druckmittel?

Gute Rahmenbedingungen für das Lernen an einer Universität beginnen bei einer klaren und transparenten Konkretisierung der Lernziele und –inhalte für die Studierenden, bei eine übersichtlichen und differenzierten Beschreibung der Lehrveranstaltungen und bei einem Lehr-Gesamtkonzept, in welchem die möglichen Veranstaltungsformen optimal ineinander verschränkt sind. Vorlesungen schaffen Ein- und Überblicke und sollen die Studierenden dazu anregen, sich mit Literatur auseinander zu setzen. Übungen ermöglichen Vertiefungen und schaffen Räume, das Gelernte zu verstehen und zu verinnerlichen. In Seminaren können spezifische Themen kommunikativ und reflexiv entwickelt und aufgearbeitet werden. Zusätzliche Unterstützung bzw. Optionen für ein zeitlich und räumlich entgrenztes Lernen bieten Online-Formate wie z.B. Vorlesungs-Podcasts oder Übungen in virtuellen Räumen. Entscheidend ist hier kein „methodisches Feuerwerk“, sondern sind gut vorbereitete DozentInnen mit aktuellen Lehr- und Übungsmaterialien, die der jeweiligen Veranstaltungsform gerecht werden, also z.B. nicht Seminar-Veranstaltungen über Studierenden-Vorträge zu Vortragsveranstaltungen machen etc. Wichtig sind auch vielfältige Räume für Eigenreflexion und Rückfragen der Studierenden, sowie deren interne themenzentrierte Kommunikation und Kooperation. Ebenso wichtig ist, dass sich alle Lehrenden eines Studiengangs als Team verstehen und auch so verhalten, nur mit einer inhaltlich und methodisch optimal abgestimmten Lehre können Redundanzen, Diskrepanzen, Unschlüssigkeiten, Widersprüche sowie Übergangs- und Schnittstellenprobleme vermieden werden.

Wo der Übergang von einem Lern-Trigger zu einem aversiven Druckmittel liegt, ist nicht einfach bestimmbar und hängt nicht unerheblich vom lernenden Individuum ab. Manche Menschen lernen sehr autonom, und reagieren auf äußere Leistungsansprüche sehr sensibel, andere Menschen lernen eher mühsam und wollen immer wieder dezidiert dazu aufgefordert werden. Hier einen Mittelweg zu finden, ist kaum möglich. Fest steht jedoch, dass alleine die Prüfung am Ende des Semesters nur für wenige als angemessener Trigger wirkt, ebenso fest steht, dass eine reine Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen diesbezüglich auch kaum Wirkungen erwarten lässt und zudem in der heutigen Zeit kaum noch Akzeptanz bei Studierenden findet. Ein typischer und etablierter Lern-Trigger ist die Kombination aus Kontrollen und Feedback. In den drei vorausgehend angesprochenen „klassischen“ Lehrformaten von Universitäten bieten sich insbesondere Übungen und Seminare für den Einsatz von Kontrollen und Feedback an, denn dort sollten die Verinnerlichungsprozesse der Studierenden stattfinden und ein Übergang vom angeleiteten zu einem eigenständigen Lösen von Problemen.

1. Transparenz:

Für die Studierenden muss schon im Vorfeld eines Lehrkomplexes klar und vollständig erkennbar sein, welchen Aufwand dieser erzeugt. Sie müssen die Zusammenhänge aus Lehre, Übung, Kontrollen, Prüfungen und Benotung verstehen und nachvollziehen können.

2. Fairness:

Die Kontrollbedingungen müssen ebenso fair angelegt sein, wie die von Prüfungen, d.h. sie müssen für alle Studierenden gleich sein, mit sinnvollen und angemessenen Mitteln erfolgen und klaren Bewertungs-Parametern unterliegen.

3. Verteilung:

Lernkontrollen sollten so verteil werden, dass sie eine Lernstrecke konsequent durchsetzen, d.h. dass sie nicht geballt am Anfang oder am Ende des Lernabschnitts auftreten, sondern auf diesen sinnvoll verteilt sind. Sie sollen für die Studierenden präsent, nicht aber dominant sein.

4. Verhältnismäßigkeit:

Lern- und Übungsaufwand sollten den Kontrollaufwand deutlich übersteigen, denn die Kontrollen haben hierbei nur instrumentellen Charakter. Zudem sollte man versuchen, die Kontrollen auf wesentliche Aspekte des Zu-Lernenden auszurichten, nicht aber auf Randaspekte oder Unwesentliches.

5. Prüfungsbezug:

Lernkontrollen sind für die Studierenden vorweggenommene Prüfungen, daher sollten sie entweder konkrete Teilausschnitte eines umfassenden Prüfungsraums sein (wie einzelne Stücke aus einer Torte), oder Aspekte, welche die Prüfung in einer komplexitätsreduzierten Form vorwegnehmen (wie Übungsformen mit Ball und Gegner vor dem Fußballspiel). Keinesfalls sollten sie am Prüfungsstoff vorbeigehen, oder den Schwierigkeitsgrad der Prüfung überschreiten.

6. Authentizität:

Lern- und Übungsszenario und Kontroll-Modus sollten zueinander passen; wenn es z.B. um Zeichnungen geht, sollten auch Zeichnungen kontrolliert werden, nicht aber DIN-Normen abgefragt, wenn es um Berechnungen geht, sind Lösungswege und Lösungen zu kontrollieren, nicht aber Formelkenntnisse, wenn es um juristische Fälle geht, stehen die Fallbeurteilungen im Fokus, nicht die Gesetze etc.

7. Einfachheit:

Kontrollen sollen Lernen und Übung sichern, nicht aber Reflexion ersetzen, daher kann man sie einfach halten. Je einfacher eine Kontrolle ist, desto unmittelbarer und häufiger kann man sie einsetzen.

8. Feedback:

Kontrolle ist ohne Feedback unvollständig. Wenn Mängel oder Fehler festgestellt werden, sollten immer entsprechende Räume und Mittel zur Verfügung stehen, diese ausführlich zu klären. Die Wahrnehmung solcher Angebote ist jedoch – im Gegensatz zu den Kontrollen – freiwillig zu halten, da manchmal nur festgestellt wird, dass etwas gar nicht gemacht wurde, bzw. in vielen Fällen relativ klar ist, was wie zu verbessern ist. Zudem muss Reflexion nicht primär über eine Lehrperson erfolgen. Man kann dazu auch Medien oder Unterlagen bereitstellen, was nicht nur den Personalaufwand reduziert, sondern auch die Selbständigkeit der Studierenden fördert.

Als eine Sonderform der Lern-Kontrolle könnte die Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen bezeichnet werden. Wenn man aber die vorausgehenden Prämissen für eine förderliche Handhabung von Lernkontrollen betrachtet, wird klar, dass dies explizit nicht so ist. Die klassische Anwesenheits-Pflicht (wie in der Schule) erscheint im Hinblick auf diese Kriterien so wie sie ist: didaktisch inakzeptabel, denn sie ist eine rein organisatorische Maßnahme, undifferenziert und pauschal. Interessanterweise ist sie aber ein langjähriges Politikum der deutschen Hochschulen, wird immer wieder heiß diskutiert und aktuell finden diesbezüglich interessante Gesetzesinitiativen statt. Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein haben Anwesenheitspflicht an Hochschulen explizit abgeschafft, in Saarland und Thüringen laufen Vorbereitungen, die sich auf Anwesenheitspflicht beziehen, jedoch absehbar in eine andere Richtung gehen werden. Die Hochschulrektorenkonferenz lehnt generelle Regelungen der Anwesenheitspflicht durch den Gesetzgeber ab, hingegen stellt Hochschulrektoren-Präsident Professor Horst Hippler nach einer Senatssitzung diesbezüglich fest: „Es braucht sachgerechte, differenzierte Regelungen in den Hochschulen. Diese sind sich bewusst, dass es nur dort eine Anwesenheitspflicht geben darf, wo das für den Lernerfolg erforderlich ist.“ (Hippler, H., 2016, S. 566). Damit ist es ihm wohl nicht nur gelungen nichts Substanzielles zu dieser Thematik beizutragen, sondern zudem eine eher belustigende Äußerung anzuhängen, denn in Umkehrung seines Nachsatzes müsste man ja schließen, dass der Lernerfolg an Hochschulen auch ohne Anwesenheit in deren Lehrveranstaltungen eintreten können. Folgerichtig könnte man dann die Lehrveranstaltungen einfach abschaffen, zumindest jene, die auf Präsenz der Studierenden ausgerichtet sind.

Um diese Frage nun ernsthaft zu beantworten, können die allgemeinen Eingangsbetrachtungen zum Thema Interesse, Motivation und eigenverantwortliches Studieren hilfreich sein. In ihnen sollte herausgearbeitet werden, dass Studierende ihr Lernverhalten nur teilweise eigenverantwortlich ausrichten und dass es immer in der Verantwortung der Lehrenden steht, sie darin zu unterstützen, auch wenn dies mit Kontrollen und Restriktionen einhergeht. Wie aber schon der vorausgehende Abgleich mit den Prämissen für gute Lernkontrollen an Hochschulen zeigte, kann eine reine Anwesenheitskontrolle nicht als funktionales und adäquates Kontrollmittel akzeptiert werden. Letztlich sichert sie keinerlei Lern-Aktivitäten sondern ausschließlich die physische Präsenz der Studierenden. Ob und was diese in der Lehrveranstaltung machen, zu welchen Ergebnissen dies führt und in wie fern es sie weiter bringt, wird dabei ignoriert.

Fest steht, dass Anwesenheitspflicht in typischen Massenveranstaltungen wie Vorlesungen ebenso überflüssig ist, wie die Überwachung und Dokumentation von Online-Zeiten, in welchen ein Studierender ein Vorlesungs-Podcast abgerufen hat. Dies ist jedoch ohnehin unüblich, wesentlich häufiger besteht Anwesenheitspflicht in Seminar-Veranstaltungen und Übungen. Letzte können konsequent entlang der vorausgehend dargestellten Zusammenhänge und Prämissen mit Kontrollen durchsetzt werden, so dass dort eine Anwesenheitspflicht obsolet wird. Damit bleibt das Seminar als eine Veranstaltungsform, in welcher es gilt, eine aktive Teilnahme (im Gegensatz zu einer physischen Anwesenheit) zu sichern.

Aktive Teilnahme in Seminaren bedeutet, alle Teilnehmenden in ein durchgängiges Gesamtkonzept so einzubinden, dass…

  • sie fortlaufend in den inhaltlichen Erschließungsprozess involviert sind,
  • der Erschließungsprozess anhaltend eigene Aktivitäten der Studierenden erfordert,
  • die Aktivitäten der Studierenden immer wieder analytisch aufgegriffen, bewertet und an sie zurückgemeldet werden,
  • der Seminar-Erfolg nur von denjenigen Studierenden erreicht werden kann, die fortlaufend aktiv teilnehmen,
  • Fehlzeiten bzw. Ausfälle von Studierenden generell entweder in Kommunikation mit anderen TeilnehmerInnen oder in eigenständiger Auseinandersetzung nachgearbeitet werden müssen.

Anwesenheit in Lehrveranstaltungen ist also durchaus wichtig, sie sollte jedoch nicht per Weisung verordnet, sondern methodisch bedingt werden. Anwesenheitspflicht kann kein Anspruch einer modernen Universität sein. An Stelle der Anwesenheitspflicht erscheint vielmehr eine Teilnahmepflicht zielführend, wobei damit für die Lehrenden der Anspruch entsteht, ein Konzept zu entwickeln und umzusetzen, das für die Studierenden durchgängig eine sinnvolle, adäquate und förderliche Teilnahme am Lehrgeschehen möglich macht.

Artelt, C. (1996). Der Gebrauch von Lernstrategien bei Schülern der 8. Klasse in einer konkreten Anforderungssituation. In: Witruk, E. & Friedrich, G. (Hrsg.): Pädagogische Psychologie im Streit um ein neues Selbstverständnis. (Psychologie Bd. 5), S. 107-117. Landau: Verlag für Empirische Pädagogik.

Kaube, J. (2016): FAZ-net vom 9. Juni 2016

Hippler, H. (2016): HRK: Anwesenheitspflichten sind Sache der Hochschulen. In: Forschung und Lehre 7/16, S. 566

Prenzel, M. / Drechsel, B. (1996): Ein Jahr kaufmännische Erstausbildung: Veränderung in Lernmotivation und Interesse. Unterrichtswissenschaft, 24, 217-234.

Schiefele, U. / Wild K.P.: (1994): Lernstrategien im Studium : Ergebnisse zur Faktorenstruktur eines neuen Fragebogens. In: Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 15/4, S 185-200