Weniger ist mehr

Größerer Lernerfolg durch weniger Stoff

Wie bekommt man einen Liter Wasser in ein 0,2l-Glas? Gar nicht! Genau das möchten viele Lehrende in ihrem Unterricht jedoch erreichen. Lehrende sind Expert:innen für ihre Themen. Sie wissen ungemein viel und versuchen, in ihrer Lehre möglichst viel „rüberzubringen“. So die Lehrenden-Perspektive. Für den Lernerfolg ist jedoch die Studierenden-Perspektive wichtig.

Wie erreichen Lehrende, dass möglichst viel bei den Lernenden ankommt? Und dass dieses Wissen möglichst langfristig abrufbar, Fähigkeiten und Fertigkeiten einsetzbar und auf neue Kontexte übertragbar sind?

Der Status Quo ist vermutlich mit „möglichst viel und immer schneller“ treffend umschrieben. Dazu tragen vor allem zwei Faktoren bei: gesellschaftliche Entwicklungen und das Ansehen von Expert:innenwissen.

Immer mehr und immer schneller – Gesellschaft im Wandel

Eine Reihe von gesellschaftlichen Veränderungen und Krisen hat das Bildungssystem in den letzten Jahren stark beeinflusst. G8 und die Einführung der gestuften Studiengänge oder auch die jüngste Pandemie ausgelöst durch das neuartige Coronavirus und die damit verbundene Umstellung auf Onlinelehre haben zu einer Beschleunigung der Ausbildung geführt. Gleichzeitig beobachten wir eine Orientierung am Output und an Kompetenzen.
Dies erfordert jedoch – sofern es ernst genommen wird – anderes Lehren und Lernen. Zudem geht es an der Hochschule immer schon um mehr als um die reine Wissensvermittlung. Jedoch soll auch fachspezifisches Wissen erworben werden. Dies ist sowohl Lehrenden als auch Studierenden ein Anliegen.

Viele Lehrende machen aber immer wieder die Erfahrung, dass Wissen, das eigentlich gelernt sein sollte, bei den Studierenden nicht abrufbar ist. Dies hängt vermutlich sowohl damit zusammen, dass Studierende oft nicht angemessen lernen, als auch damit, wie Wissen und Kompetenzen an der Hochschule gelehrt werden.

Expert:innenwissen als Hürde

Das Wissen, das Hochschullehrende präsentieren und vermitteln, ist ein ganz spezielles Wissen: sogenanntes „Expert:innenwissen“. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es meist hochverdichtet ist. Der an sich schon komplexe Stoff wird mit der Erfahrung der Lehrenden in einem Stoffgebiet immer weiter ergänzt, vernetzt und vertieft. Zu erkennen,

  • was Studierende in den verschiedenen Phasen des Studiums überhaupt aufnehmen können
  • sowie ob sie neuen Stoff mit ihnen Bekanntem verbinden
  • und damit nachhaltig lernen können,

wird zu einer echten Herausforderung für die Lehrenden (vgl. Nickerson, 1999).
Zudem wird Expert:innenwissen noch in einer hochspezifischen Fachsprache vermittelt. Diese stellt eine zusätzliche Hürde für den Zugang der Studierenden dar.

Nickerson, Raymond. (1999). How we know – and sometimes misjudge – what others know: Imputing one’s own knowledge to others. Psychological Bulletin 125(6), 737-759.