Storytelling in der Lehre einsetzen
09.02.24
Storytelling bietet sich als Alternative zu einem drögen Vortrag an, um Fakten spannend zu vermitteln und Neugierde zu wecken.
Einleitung zur Anwendung
Wie wende ich Storytelling im Unterricht und bei der Vermittlung von Fachwissen an? In der Tat stehen Wissenschaftler:innen beim Gebrauch von Storytelling-Strategien oft bestimmte Denk- und Arbeitsweisen im Wege. Der wissenschaftliche Text, der den Fokus auf Wissensvermittlung legt, stellt oftmals zentrale Ergebnisse in Form eines Abstracts an den Anfang und führt diese dann im Folgenden in ausführlicher, vertiefter Form aus. Dieser Schreibstil ist durchaus sinnvoll und funktional für das wissenschaftliche Arbeiten, Lehrende haben ihn oftmals internalisiert und wenden dieses Vorgehen auch in der Lehre oder im mündlichen Vortrag an. Um Interesse und Begeisterung für ein neues Thema bei Studierenden zu wecken, ist diese wissenschaftliche Herangehensweise jedoch weniger optimal. Man stelle sich ein vergleichbares Vorgehen bei einem Roman oder einem Film vor, wenn bereits zu Beginn der Geschichte der Plot offenbart würde. Der Unmut über einen solchen Spoiler wäre groß: Man darf doch nicht schon vorher alles verraten!
Was sind eigentlich Spoiler?
Spoiler verstehen sich hier als Informationen oder Hinweise, die wichtige Elemente des Plots eines Films, Buchs, Spiels oder anderer Medien verraten und damit das Spannungserleben Unwissender im Vorhinein ruinieren können.
Das Storytelling geht deshalb einen anderen Weg. Autor:innen von Geschichten beschreiben im Klappentext ihres Buches höchstens die Prämisse der Story und lassen zentrale Fragen offen, um die Rezipierenden in Spannung zu versetzen. Gerade in Zusammenhang mit diesem Informationsmanagement lieben Rezipierende es auch, in einer Story überrascht zu werden – durch einen unerwarteten Wendepunkt werden auf einmal alle bisherigen Erkenntnisse in Frage gestellt und wir erkennen mit vergnügter Überraschung, dass nicht die Gärtnerin, sondern das Hauspersonal den mörderischen Komplott geschmiedet hat. Auch hier ist wieder der Vergleich mit einem wissenschaftlichen Text interessant.
Informationsmanagement in Wissenschaft und Storytelling
Man stelle sich vor, in einer Publikation würde eine neue Theorie vorgestellt, und in der Mitte des Artikels erfahren die Lesenden überraschend, dass der entwickelte Denkansatz komplett falsch ist. So ein Vorgehen würde in Wissenschaftskreisen als sehr ungewöhnlich angesehen. Aber genau das ist eine typische narrative Strategie. Und es gibt noch viele weitere Unterschiede: So versucht Wissenschaft, Sachverhalte möglichst objektiv darzustellen. Storytelling nimmt dagegen einen radikal subjektiven Standpunkt ein und versucht, Fakten und Ereignisse zu emotionalisieren. Auch Kriterien wie Glaubwürdigkeit oder Konsistenz werden viele narrative Texte auf den ersten Blick nicht gerecht. So können uns in Erzählungen wie in Äsops Fabeln sprechende und denkende Tiere begegnen. Es können sogar gar handelnde Haushaltgeräte sein, wie im Disney-Film The Brave Little Toaster oder Geister und übernatürliche Wesen wie im Pixar-Film Soul. Zwar ist den Rezipierenden vollkommen klar, dass sich die gezeigte Handlung so nicht zutragen könnte und dass ein Toaster und eine Heizdecke keine liebevollen Freundschaften pflegen. Trotzdem empfinden Rezipierende die Erzählung auf einer emotionalen und semantischen Ebene immer noch als glaubwürdig.
Geschichten beeinflussen Weltsicht und Verhalten
Trotz dieser auf den ersten Blick kontraintuitiven Gestaltungsstrategien, welche die fiktionale Ebene des Textes sogar betonen, sind fiktionale Geschichten in hohem Maße in der Lage, menschliches Weltsicht und Verhalten zu formen – seien es frühe, antike Gesellschaften, die durch Mythen oder religiöse Texte erst zu einer gemeinsamen Identität finden (Levi-Strauss 1983 [1964]) oder auch ganz aktuelle Beispiele, die zeigen, dass Erzählungen einen großen Einfluss auf menschliches Verhalten und gesellschaftliche Diskurse haben – und zwar ganz unabhängig davon, ob sie aus einer gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Perspektive für „glaubwürdig“ oder „authentisch“ gehalten werden. So kann auch ein Science-Fiction-Thriller wie The Day After Tomorrow signifikante Änderungen von ökologischen Prioritäten auslösen und Auswirkungen auf das politische Wahlverhalten der Rezipierenden haben (Leiserowitz 2004). Eine Sitcom wie Little Mosque on a Prairie kann – stärker als erprobte psychologische Methoden – zur Entwicklung von Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten beitragen (Brauer/Sohad 2018). Zwar ist einsichtig, dass derlei Effekte von Erzählungen kaum steuerbar sind und die Messung sowie der Nachweis entsprechender Wirkungen ist nicht immer unproblematisch. Aber es zeigt sich, dass gerade die Repräsentation von neuen Rollenbildern oder das Brechen von Geschlechterstereotypen und damit das Befördern von sozialpolitischen Diskursen und gesellschaftlicher Veränderung ein wichtiges Feld von Storytelling sein kann.
Storytelling ist mehr als Geschichten erzählen
Storytelling kann eingesetzt werden, um neue Rollenbilder zu etablieren und mit Geschlechterstereotypen zu brechen. Auch ist es möglich, sozialpolitische Diskurse zu befördern und mögliche gesellschaftliche Veränderungen zu debattieren.
Dies wird auch in Genrebezeichnungen von Erzählungen deutlich, deren Benennung schon darauf hindeutet, dass sie konzipiert worden sind, um Lehrinhalte und Wissen zu vermitteln: Entertainment Education im Bereich der TV-Serie und Serious Games im Bereich des Game Designs. Und so können sich selbstverständlich auch Lehrende Storytelling-Techniken zunutze machen, besonders dann, wenn es darum geht, einen Einstieg in ein Thema zu finden oder zu Beginn zu motivieren.
Wie werden narrative Techniken in Lehrveranstaltungen fruchtbar gemacht?
Kein triviales Unterfangen: erstens, weil Unterschiede zum wissenschaftlich-theoretischen Modus groß sind und zweitens, weil wissenschaftliche Fakten und Standards gesichert bleiben müssen. Zunächst ist zu klären, was genau der Terminus Storytelling – der oftmals intuitiv und wenig trennscharf benutzt wird – genau bedeutet. Eine Erzählung ist ein komplexes semiotisches Konstrukt, narrative Gestaltungsstrategien sind teils hochspezifisch und ihre Anwendung ist bei näherer Betrachtung keineswegs selbstverständlich.
Toolbox narrativer Lehrgestaltung
(2019a) schlägt aus anwendungsbezogener Perspektive elf Prinzipien der narrativen Gestaltung vor. Er bezeichnet diese Elemente als „Toolbox“ der narrativen Gestaltung, die nicht nur zur Kreation von fiktionalen Geschichten, sondern auch zur Erstellung von Lehr-Lern-Geschichten genutzt werden kann. Diese modularisierte Perspektive bietet zudem den Vorteil, dass auch durchaus einzelne narrative Gestaltungselemente zur Unterrichtsgestaltung benutzt werden können – ohne gleich eine ganze Geschichte ersinnen zu müssen. Die Gestaltungselemente, die Friedmann (2019a) beschreibt, sind folgende: Friedmann