Didaktische Möglichkeiten in der Praxis

Die folgenden Praxisbeispiele wenden den o.g. Forschungsstand zur Motivation auf konkrete Lehrbeispiele an. Hierzu werden Lehrformat und Studiengang variiert, wobei nicht immer alle, sondern nur die dem/der jeweiligen Lehrenden passenden Motivationsformen umgesetzt werden.

Im Rahmen einer Vorlesung zu z.B. Statistik (Bachelor Wirtschaftswissenschaften, 1. Semester) fehlt den meisten Studierenden zunächst die intrinsische Motivation, regelmäßig für die Klausur zum Ende der Veranstaltung zu lernen. Zugleich ist die Zugehörigkeitsmotivation in der Masse der dreistelligen Anzahl der Studierenden gering. Gerade im ersten Semester ist aber der Zusammenhalt der Studierenden wichtig, da er förderlich für die Anwesenheit in der Vorlesung („Kommst Du morgen auch?“) ist.

Lehrende können hier zunächst auf die (extrinsische) Leistungsmotivation setzen, z.B.:

  • Bedeutung eines guten Starts ins Studium durch eine gute Klausurnote in Statistik aufzeigen
  • Regelmäßige Abfragen ans Plenum zu den Inhalten der vergangenen Stunden stellen, samt konkretem Feedback („X stimmt, für eine volle Punktzahl in der Klausur fehlten noch Y und Z“).
  • Die Noten guter vorheriger studentischer Jahrgänge präsentieren
  • Leistungskriterien maximal transparent machen: Alte Klausuren mit Lösungsschemata online stellen, Lösungswege samt Fehlern im begleitenden Tutorium besprechen

Daneben bieten sich ergänzende Ansätze an:

  • Zugehörigkeitsmotivation: Lehrende können dazu studentische Lerngruppen bilden lassen. Damit diese effektiv sind, ist es wichtig, dass (a) die Lerngruppen Aufgaben erhalten, die sie nur gemeinsam lösen können (z.B. ein Gruppenpuzzle) und (b) die Aufgabenerstellung und -abgabe kontrolliert wird.
  • Machtmotivation: Der/die Lehrende erläutert, in welchen späteren Karrierewegen (innerhalb und außerhalb der Universität) fundierte Kompetenzen in Statistik notwendig sind bzw. welche geldwerten Vorteile dies nach sich zieht.
  • Intrinsische Leistungsmotivation: Sofern der/die Lehrende selbst vom Thema begeistert ist, kann er/sie durch eigenes Vorbildverhalten einige Studierende selbst intrinsisch motivieren. Hier sollte er/sie seine eigene Begeisterung vermitteln, interessante und spannende Statistikeffekte darlegen etc.

Im Rahmen eines Seminars der Rechtswissenschaft werden juristische Fälle besprochen. Die Studierenden sollen dabei das adäquate analytische Vorgehen üben, was zum Semesterende über eine Hausarbeit geprüft wird (alle juristischen Möglichkeiten aufstellen, deren Realisierungsgrad bewerten, Abgleich und Bewertung mit dem realen Prozessergebnis). Dieses Vorgehen ist praxisnah, wird teils aber als wenig motivierend und „trocken“ empfunden. (Die folgenden Lösungsbeispiele sind problemlos auf Seminare anderer Fachrichtungen mit Fallbesprechungen übertragbar – z.B. auf Fälle in der klinischen Psychologie).

Da es sich bei der Fallanalyse um ein komplexes, aber in den einzelnen Schritten standardisiertes Vorgehen handelt, bietet sich eine Motivierung der Studierenden über das Rubikonmodell der Handlungsphasen an.

  1. In der prädezisionalen Phase bietet sich je Fallanalyse eine Sammlung, z.B. im Rahmen eines Wettbewerbs oder Bonuspunktsystems, aller möglichen Interpretationsansätze an („Welcher Paragraf könnte wie dafür herangezogen werden?“). Der Wettbewerb bzw. das Bonuspunktsystem spricht die Leistungsmotivation an. Im Anschluss daran sollen einzelne Studierende ihre Vorschläge argumentativ überzeugend darlegen, die Meldung ist freiwillig (Machtmotivation). Das Plenum gibt zunächst Feedback, dann der/die Lehrende.
  2. In der postdezisionalen Phase werden analog zur vorherigen Strategie zunächst alle möglichen Schwierigkeiten im Rahmen eines leistungsmotivationalen Wettbewerbs oder Bonuspunktsystems bewertet („Welcher von den herangezogenen Paragrafen wird wirklich vom Gericht genommen werden?“). Anschließend können einzelne Studierende freiwillig ihre Lösungen dazu argumentativ verteidigen (Machtmotivation).
  3. Die aktionale Phase entfällt, da es sich um Fallbesprechungen in der Stunde handelt.
  4. Die postaktionale Phase vergleicht die erarbeiteten Fälle mit dem Prozessausgang (inkl. potenzieller Abweichung bei einer Urteilsrevision).

Das dargebotene Vorgehen in der Stunde mit der gesamten Seminargruppe kann auch bei den einzelnen Studierenden in der Hausarbeitsphase erfolgen – z.B. im Rahmen der Sprechstunde. In diesem Fall ist die aktionale Phase nötig, um Zwischenarbeitsstände zu kontrollieren.

Daneben bieten sich ergänzende Ansätze an:

  • Zugehörigkeitsmotivation: Lehrende können studentische Teams bilden lassen, die mit ihren Lösungsansätzen gegeneinander antreten. Wichtig ist dabei, dass nicht immer dieselben Studierenden gewinnen, da dies die anderen Studierenden irgendwann demotiviert. Dies tritt auf, wenn einzelne Studierende sehr große Kompetenzvorsprünge haben. In diesem Fall bildet der/die Lehrende gleich starke Teams oder gibt den kompetenten Studierenden gelegentlich (nach Ankündigung!) besonders schwere Aufgaben.
  • Extrinsische Motivation: Der/die Lehrende kann die Relevanz der Kompetenz bei Fallanalysen für die folgende Karriere aufzeigen.
  • Intrinsische Motivation: Der/die Lehrende kann die Studierenden bitten, selbst ein paar spannende Fälle zu recherchieren (freiwillig). So können interessierte Studierende freiwillig ihren Leidenschaften für das Thema nachgehen und der/die Lehrende gewinnt ggf. selbst spannende Anregungen.

Im Rahmen einer Übung zur Vorlesung im Fach Mathematik werden mit der Vorlesung abgestimmte Übungsaufgaben besprochen und vorgerechnet. Bei diesen Mathematikaufgaben handelt es sich meist um komplexe Aufgaben, zu denen meist mehrere Lösungswege und auch Erklärungen zum Vorgehen möglich sind. Somit ist zur Motivierung der Studierenden das Rubikonmodell der Handlungsphasen hilfreich:

  1. In der prädezisionalen Phase bietet sich je Aufgabe eine Sammlung aller möglichen Lösungswege, an (Leistungsmotivation), ggf. in Kleingruppen (zusätzlich somit auch Zugehörigkeitsmotivation). Das Plenum gibt zunächst Feedback, dann der/die Lehrende.
  2. In der postdezisionalen Phase werden zu den vorherigen Lösungswegen zunächst alle möglichen Schwierigkeiten und typischen Fehler (ggf. vorangegangener studentischer Jahrgänge) im Rahmen eines leistungsmotivationalen Bonuspunktsystems bewertet. Anschließend können einzelne Studierende freiwillig ihre selbst erarbeiteten, korrekten Lösungen dazu erläutern (Stärkung des Gefühls, es geschafft zu haben). Ggf. kann der Lehrende die nicht erfolgreichen Studierenden bitten, ihr Vorgehen bei der Rechnung zu erläutern, um darüber den (Denk-)Fehler zu identifizieren. Das Plenum gibt zunächst Feedback, dann der/die Lehrende.
  3. Die aktionale Phase entfällt, da es sich um Rechenwegsbesprechungen in der Stunde handelt. Alternativ würden die Studierenden hier (erneut dieselben oder neue Aufgaben) rechnen und der Lehrende den Prozess supervidieren.
  4. Die postaktionale Phase vergleicht die erarbeiteten Lösungswege mit der Lösungsschablone (samt Ansprechen typischer Fehler).

Daneben bieten sich ergänzende Ansätze der Leistungsmotivation an:

  • Der/die Lehrende wiederholt den Lösungsweg bei Nachfragen bzw. Unverständnis der Studierenden nicht nur, sondern (a) zeigt alternative Lösungswege auf sowie (b) bittet andere, erfolgreiche Studierende im Seminar den Lösungsweg mit eigenen Worten zu erklären (da sich diese ggf. besser in die Fehler der KommilitonInnen hineinversetzen können.
  • Typische Rechenfehler (z.B. vorangegangener Jahrgänge) werden bei der ersten Erklärung durch den/die Lehrende/n erläutert, um Fragen der nicht erfolgreichen Studierenden dadurch vorwegzunehmen.
  • Schriftliche Lösungswege mit ausführlichen Erläuterungen werden bereitgestellt.

Im Rahmen des Laborpraktikums müssen Studierende der Biologie, Chemie, Physik etc. in Kleingruppen Laborversuche praktisch umsetzen und werden darin geprüft. Neben der reinen Versuchsdurchführung steht das Qualitätsmanagement (Protokollierung, Dokumentation, kritische Evaluation der gewonnenen Daten) im Vordergrund.

Da es sich bei Laborversuchen um ein komplexes, aber in den einzelnen Schritten standardisiertes Vorgehen handelt, bietet sich eine Motivierung der Studierenden über das Rubikonmodell der Handlungsphasen an, welches in der Lehre bei den Versuchen (vor der Prüfung, nicht währenddessen) angewandt wird:

  1. In der prädezisionalen Phase bietet sich (je Laborgerät) eine Sammlung aller möglichen sinnvollen Versuche an, z.B. im Rahmen eines Wettbewerbs oder Bonuspunktsystems (Leistungsmotivation). Im Anschluss daran sollen einzelne Studierende ihre Vorschläge argumentativ überzeugend darlegen, die Meldung ist freiwillig (Machtmotivation). Das Plenum gibt zunächst Feedback, dann der/die Lehrende.
  2. In der postdezisionalen Phase werden analog zur vorherigen Strategie zunächst alle möglichen Handlungsschritte („Wie gehen wir vor?“) und Schwierigkeiten („Was ist qualitativ zu beachten?“) im Rahmen eines leistungsmotivationalen Wettbewerbs oder Bonuspunktsystems bewertet. Anschließend können einzelne Studierende freiwillig ihre Punkte dazu argumentativ verteidigen (Machtmotivation).
  3. Die aktionale Phase umfasst die Umsetzung durch eine Studierendengruppe. Der/die Lehrende supervidiert währenddessen.
  4. Die postaktionale Phase vergleicht die Arbeitsschritte mit der Standardlösung aus dem Lehrbuch. Hierzu soll sich zunächst die aktive Studierendengruppe selbst bewerten, anschließend deren KommilitonInnen, abschließend der/die Lehrende.

Daneben bieten sich ergänzende Ansätze an:

  • Leistungsmotivation: Der/die Lehrende legt alle Leistungskriterien zu Beginn der Lehrveranstaltung im Detail offen: Worauf wird geachtet, was führt zu welchen Abzügen? Hierzu gibt es zur Veranschaulichung ein Lehrvideo aus vorherigen Semestern (nach Möglichkeit eine Aufzeichnung eines realen Laborversuchs). Es erfolgt ein ausführliches Feedback zu den Protokollen der Studierenden, einerseits zur Vermittlung des Qualitätsmanagements im Labor, andererseits zur Wissenssicherung der Studierenden.
  • Machtmotivation: Der/die Lehrende erläutert, welche besonderen Entdeckungen (in letzter Zeit) im Labor sich positiv auf die Karriere einzelner WissenschaftlerInnen ausgewirkt haben.
  • Extrinsische Motivation: Der/die Lehrende zeigt typische Fehler samt Konsequenzen aus den Laborpraktika vorheriger Semester. Zusätzlich werden relevante, aber noch nicht eingetretene Gefahren im Detail erläutert.
  • Intrinsische Motivation: Der/die Lehrende kann den Studierenden die Wahl des Versuchs überlassen.

Im Rahmen von Feldarbeit müssen sich Studierende auf Exkursionen im Feld beweisen (z.B. in Archäologie, Biologie, Geowissenschaften). Exkursionen werden oft als aufregend, ungewohnt und auch motivierend empfunden. Jedoch stellen sie für die meisten Studierenden ein ungewohntes Format dar, zu welchem sie kaum Erfahrungen haben. Diese Unsicherheit und Unwissen in Exkursionen führen bei Studierenden schnell zu Demotivation, welche sich v.a. durch motivierende und klare Informationen seitens des Lehrenden vermeiden ließe.

Aufgrund dieser Faktoren bietet sich für Lehrende eine Kombination aus Leistungs-, Macht- und Zugehörigkeitsmotivation an:

  • Leistungsmotivation: Lehrende achten auf eine sehr gute Vorbereitung, insbesondere bei Erstsemesterstudierenden: Das (Lern-)Ziel der Exkursion ist klar definiert, eine detaillierte Aufklärung (z.B. zu Kleidung und Schuhwerk, besonderer Ausrüstung wie Lupe, Feldstecher etc.) ist erfolgt.
  • Machtmotivation: Lehrende zeigen die zentrale Bedeutung von Feldarbeit für die künftige Karriere auf. Sie zeigen auf, welche Techniken zu welchen besonderen Entdeckungen führten.
  • Zugehörigkeitsmotivation: Lehrende haben einen Blick und ein (für erwachsene AnfängerInnen angemessenes) Verantwortungsgefühl für die Gruppe. Hier fragen Lehrende lieber ein paar Mal zu oft nach, ob auch alle Studierenden nicht nur körperlich, sondern auch geistig „mitkommen“. Dies umfasst die übliche fachliche Betreuung in der Feldarbeit, die praktische Umsetzung (z.B. Erinnerung und Kontrolle bzgl. passenden Schuhwerks) sowie auch die informelle Gruppenaktivitäten am Abend (bei mehrtätigen Exkursionen). Es erfolgen klare Ansagen durch den Lehrenden bzgl. Aufgaben, Zeitpunkten und Treffpunkten.

Daneben bieten sich ergänzende Ansätze an:

  • Intrinsische Motivation: Die Lehrenden sollte ihre Begeisterung für Exkursion zeigen (sofern vorhanden), die Freude an Tätigkeiten außerhalb des Büros, die Möglichkeiten, entdeckend im Feld tätig zu sein etc.

Insgesamt bieten die dargelegten Praxisbeispiele erste mögliche Umsetzungen, wie Lehrende die Motivation ihrer Studierenden steigern und Demotivation vermeiden können. Weitere Ansätze finden Sie ausführlich in einschlägigen Lehrbüchern (z.B. Heckhausen & Heckhausen, 2010), kurz in Artikeln (z.B. Palmer, 2007) oder umfassend im Workshopprogramm der Hochschuldidaktischen Arbeitsstelle.

Achtziger, A. & Gollwitzer, P. M. (2009). Rubikonmodell der Handlungsphasen. In V. Brandstätter (Hrsg.), Handbuch der Allgemeinen Psychologie. Motivation und Emotion (Handbuch der Psychologie, Bd. 11, S. 150–156). Göttingen: Hogrefe.

Brunstein, J. C. & Heckhausen, H. (2010). Leistungsmotivation. In J. Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation und Handeln (4., überarb. und erw. Aufl., S. 145–192). Berlin: Springer.

Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic motivation and self-determination in human behavior. New York: Plenum.

Heckhausen, J. & Heckhausen, H. (Hrsg.). (2010). Motivation und Handeln (4., überarb. und erw. Aufl.). Berlin: Springer.

McClelland, D. C. (1961). The achieving society. Princeton, N.J.: Van Nostrand.

McClelland, D. C. (1966). Die Leistungsgesellschaft. Psychologische Analyse der Voraussetzungen wirtschaftlicher Entwicklung. Stuttgart: Kohlhammer.

Robbins, S. B., Lauver, K., Le, H., Davis, D., Langley, R. & Carlstrom, A. (2004). Do psychosocial and study skill factors predict college outcomes? A meta-analysis. Psychological Bulletin, 130 (2), 261–288.

Ryan, R. M. & Deci, E. L. (2000). Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. American Psychologist, 55 (1), 68–78.

Schmalt, H.-D. & Heckhausen, H. (2010). Machtmotivation. In J. Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation und Handeln (4., überarb. und erw. Aufl., S. 211–236). Berlin: Springer.

Sokolowski, K. & Heckhausen, H. (2010). Soziale Bindung: Anschlussmotivation und Intimitätsmotivation. In J. Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation und Handeln (4., überarb. und erw. Aufl., S. 193–210). Berlin: Springer.

Ulrich, I. (2016). Gute Lehre in der Hochschule. Praxistipps zur Planung und Gestaltung von Lehrveranstaltungen. Berlin: Springer.