Prüfungen und Outcome-Orientierung
24.04.22
Die Bedeutung, die Prüfungen im Hinblick auf eine gute Lehre an Hochschulen einnehmen, ist kaum zu überschätzen. Für eine gute Lehre ist es zentral, sich darüber klar zu werden, welche Fähigkeit, welches Wissen oder welche Kompetenzen in der eigenen Lehrveranstaltung, aber auch im Rahmen eines Studiengangs vermittelt werden sollen. Gute Lehre setzt – präzise formuliert – eine Orientierung an sinnvollen Lehrzielen voraus. Wenn in der jüngeren Hochschulentwicklung von Outcome-Orientierung die Rede ist, dann ist eben jene Entwicklung gemeint, die anstelle eines an klassischen Fachinhalten orientierten Curriculums eine andere Systematik setzt – eine Systematik, die die Fachinhalte mit Blick auf ihre Rolle im Rahmen einzelner Wissenskonzepte, Fähigkeitskonglomerate und Kompetenzen versteht. Dieses Verständnis stellt an die Lehrenden andere – wenn man so will: didaktischere – Ansprüche. Prüfungen gewinnen dabei im Sinne einer an Lernergebnissen orientierten Lehre mehr an Bedeutung. Sie sind ein besonderer Stellhebel für das Lehren und Lernen. Sie erfüllen nicht nur eine Selektionsfunktion, sondern sind didaktische Instrumente, mit denen die Lernprozesse von Studierenden sinnvoll reguliert und die auch die eigene Lehre auf den Prüfstand stellen.
Studierende orientieren sich in der Regel in ihrem Lernen besonders an den Anforderungen von Prüfungen. Prüfungen regulieren das Lernen von Studierenden (Cilliers et al., 2010). Dies führt oft so weit, dass Studierende sogenannte „Test-Taking-Strategies“ entwickeln. Zu diesen Lernstrategien zählen etwa das (Auswendig)Lernen von Altklausuren, oder allgemeiner: das Einlernen bestimmter Lösungsroutinen für bekannte Aufgabenformate; dazu gehören auch raffinierte Ausschlussverfahren in Aufgaben im Antwort-Wahl-Format. Studierende sind erfinderisch und hocheffizient, wenn es um das Auffinden von Wegen geht, eine Prüfung mit dem geringstmöglichen Aufwand bestmöglich zu bestehen (Becker, Geer & Hughes, 1995). Nicht selten werden summative Prüfungen, also Prüfungen für eine abschließende Bewertung, vor diesem Hintergrund skeptisch betrachtet und wird das formative (also Lernprozess begleitende) Prüfen (oder besser: Rückmelden) als die lernförderlichere Prüfungsform bezeichnet. Weit verbreitet ist die Überzeugung, formatives Prüfen diene dem Lernen der Studierenden, während summatives Prüfen sie darin mehr oder weniger einschränke (deutlich wird das zum Beispiel an der Unterscheidung zwischen „Assessment for Learning“ und „Assessment of Learning“ in der Fachliteratur). Aus einer didaktischen Perspektive ist diese Unterscheidung wenig sinnvoll.
Sie als Lehrende sollten stattdessen auch summative Prüfungen unter lernförderlichen Gesichtspunkten betrachten. Gestalten Sie diese so, dass die Lernstrategien der Studierenden mit den Lehrzielen der Veranstaltung zusammenfallen, dann können auch summative Prüfungen das Lernen günstig beeinflussen (Harlen & James, 2006). Eine Voraussetzung dafür ist, dass Ihre Prüfungsaufgaben „robust“ gegenüber nicht gewollten Lösungswegen sind. Ein zentraler Grundsatz bei der Erstellung von Aufgaben sollte für Sie deshalb sein: Aufgaben sollten nur dann lösbar sein, wenn das dahinterliegende Lehrziel (z. B. der Erwerb eines bestimmten Wissens oder einer Kompetenz) erreicht ist. Gute Prüfungen regulieren das Lernen der Studierenden also in Richtung der dahinterliegenden Lehrziele. Aus diesem Grund sollten Sie Ihr Auge bei der Gestaltung von Prüfungen darauf richten, Aufgaben und Gesamtprüfung möglichst gut mit ihren Lehrzielen zu verschränken (Shavelson, 2010).
Für Sie als Lehrende sind Prüfungen ein Spiegel Ihrer Lehre. Prüfungsergebnisse zeigen Ihnen erst einmal auf, wie erfolgreich Ihre Lehre war – vorausgesetzt, sie haben sichergestellt, dass tatsächlich auch die Lehrziele überprüft werden. Ihre Prüfung sollte also valide sein (siehe auch Abschnitt zu den [Testtheoretische Grundlagen des Prüfens]). Dies setzt voraus, dass Sie sich überlegen, wie verschiedenes Wissen, wie Fähigkeiten und Kompetenzen ihres Fachbereichs aufgebaut sind. Was sind Teilaspekte einer bestimmten Kompetenz oder Fähigkeit? Wie können Sie vom beobachteten Handeln der Studierenden auf einen Lernerfolg schließen? Diese Überlegungen sind nicht nur bei der Gestaltung von Prüfungen und Prüfungsaufgaben relevant, sondern insbesondere auch für den Aufbau und die Durchführung Ihrer Lehre. Sehen Sie Prüfungen deshalb nicht als singuläres Ereignis am Ende des Semesters, sondern überlegen Sie sich bei der Planung einzelner Abschnitte und Sitzungen ihrer Lehrveranstaltung bereits sinnvolle Prüfungsaufgaben. Vergleichen Sie diese mit Ihren Lehrzielen und Lehrmethoden und beziehen Sie die einzelnen Elemente sinnvoll aufeinander. Verfolgen Sie das Prinzip des Constructive Alignment (Biggs, 1996), wonach gute Lehre auf einer sinnvollen Verschränkung von Lehrzielen, Lehrmethoden und Prüfungsformen besteht. Und betrachten Sie Prüfungen schließlich nicht nur als Beurteilungsinstrument der Leistungen von Studierenden, sondern auch als eine Möglichkeit der Evaluation Ihrer Lehre.
Das Konzept der Kompetenzorientierung hat mittlerweile die Vorstellung einer auf der Systematik von Fachinhalten basierten „Lehre nach Lehrbuch“ abgelöst. Aber was genau bedeutet das für Ihre Hochschullehre? Erst einmal ist es wichtig, zu verstehen, was mit Kompetenzen gemeint ist. Nach Weinert (2001) sind Kompetenzen die „[…]bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“. Einfacher ausgedrückt stellen Kompetenzen die Verbindung zwischen Wissen und Können her (Klieme, 2004).
Kompetenzen stellen demnach Fachinhalte in funktionale Verwendungszusammenhänge. Kompetenzmodelle beschreiben darüber hinaus den Aufbau von Kompetenzen in Form von Teilkompetenzen (Kompetenzstrukturmodelle) und beinhalten Annahmen über den Aufbau der Kompetenz (Kompetenzstufenmodelle). Für Sie als Lehrende bedeutet Kompetenzorientierung keinesfalls eine Engführung ihrer Lehre, im Gegenteil: Sie prüfen kompetenzorientiert, indem Sie den Horizont Ihrer Lehrveranstaltung erweitern und vom Ende längerfristig angelegter Lern- und Professionalisierungsprozesse ausgehen. Sie müssen also Studierende nicht mit gebrauchsfertigen Kompetenzen aus jeder einzelnen ihrer Veranstaltungen entlassen. Eine Orientierung an Kompetenzen bedeutet erst einmal nur, dass Studierende am Ende eines (längeren oder kürzeren) Lernweges – und dieser kann auch jenseits der Hochschule, in den Berufen noch nicht abgeschlossen sein – bestimmte Kompetenzen erworben haben sollten. Stellen Sie sich die Frage, welche Rolle Ihre Lehre in diesem Prozess einnimmt, denken Sie modular. Nicht umsonst sind Studiengänge mittlerweile modular aufgebaut. Modulares Denken hört aber bei Modulen nicht auf, sondern kann mit Blick auf das Curriculum eines Studiengangs, Weiterbildungsmöglichkeiten in Berufen etc. unterschiedliche „Modulmaßstäbe“ (oder im Sinne von Kompetenzmodellen: Teilkompetenzen oder Kompetenzstufen) beinhalten.
Vermitteln Sie deshalb gerne auch weiter „einfaches“ (z. B. deklaratives, beschreibendes) Fachwissen in Teilen Ihrer Lehrveranstaltungen, aber haben Sie bei der Auswahl den späteren Kompetenzerwerb im Blick. Noch der einfachste Wissensaspekt kann eine wichtige Voraussetzung für den Kompetenzerwerb sein, auch wenn es dafür vielleicht einfach nur „erinnert“ werden muss. Entwickeln Sie also eine Vorstellung, welche Rolle Ihre Lehrveranstaltungen im Rahmen von Modulen, Studiengängen und der längerfristigen professionellen Entwicklung beruflicher Kompetenzen einnimmt und wie sich die einzelnen Inhalte in dieses Konzept einfügen. Und verstehen Sie diese Systematik nicht nur als Hilfestellung, sondern machen Sie diese auch Ihren Studierenden transparent: In der Formulierung Ihrer Lehrziele, im Aufbau des Seminars, im Aufbau einzelner Themen und Aufgaben und vor allem in den Anforderungen Ihrer Prüfungsaufgaben, die – wie bereits vorab erläutert – eine Orientierungsfunktion für das Lernen Ihrer Studierenden haben. Bereits durch die Darstellung der Relevanz des Erklärten fördern Sie bei Ihren Studierenden die von Weinert benannte Bereitschaft (Motivation) und Willen (Volition). In aufbauenden Lehrveranstaltungen können Sie dann auch handlungsorientierte Prüfungsformen nutzen, die z. B. forschungs- oder problem- oder fallorientierte Herangehensweise beinhalten und ggf. soziale Situationen aufgreifen (Bohnse-Rohmann, Hüntelmann, Nauerth, 2008). Diese Prüfungsformen können dann auf dem früher erworbenen Wissen aufbauen, nähern sich aber schon praxisnahen Anforderungssituationen. Formative Prüfungsformen (die im Laufe des Semesters durch Teilleistungen entstehen) und mit häufigem (Peer-)Feedback einhergehen sind in diesem Zusammenhang ebenfalls gut nutzbar .
Sie fragen sich, wie Sie geeignete Zielkompetenzen bzw. Lehrziele identifizieren können? Im Beitrag Gute Lehrziele als Grundlage guten Prüfens finden Sie einen Leitfaden, wie Sie gute Lehrziele (im Sinne einer Kompetenzorientierung) identifizieren können.
Becker, Howard S.; Geer, Blanche; Hughes, Everett C. (1995): Making the grade: The academic side of college life. New Brunswick: Transaction.
Biggs, J. (1996): Enhancing teaching through constructive alignment. In: Higher Education 32: 347-364.
Blömeke, S., Gustafsson, J. E., & Shavelson, R. J. (2015). Beyond dichotomies: Competence viewed as a continuum. Zeitschrift für Psychologie, 223(1), 3-13.
Bohnse-Rohmann, M; Hüntelmann, I.; Nauerth, A. (2008): Kompetenzorientiert prüfen. München: Urban & Fischer
Cilliers, F. J., Schuwirth, L. W., Adendorff, H. J., Herman, N., & Van der Vleuten, C. P. (2010). The mechanism of impact of summative assessment on medical students’ learning. Advances in health sciences education, 15(5), 695-715.
Harlen, Wynne; James, Mary (2006): Asessment and Learning: differences and relationships between formative and summative assessment. In: Asessment in Education: Principles, Policy & Practice. Volume 4, 1997 – Issue 3.
Klieme, Eckhard (2004): Was sind Kompetenzen und wie lassen sie sich messen? In: Auszug aus Pädagogik 6 (2004), S. 10-13.
Shavelson, Richard. J. (2010). On the measurement of competency. In: Empirical Research in Vocational Education and Training, 2(1), 41–63.
Weinert, F. E. (2001). Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In F. E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim: Beltz.