Hilfsmittel oder Ablenkung? Smartphones und Co. in Lehrveranstaltungen
16.08.2024
Hoffnungen und empirische Erkenntnisse
Die zunehmende Verbreitung von mobilen Endgeräten bringt es mit sich, dass die Studierenden ihre privaten Laptops, Tablets und vor allem Smartphones in fast alle Alltagssituationen integrieren und nutzen. So sind auch in universitären Lehrveranstaltungen mobile Endgeräte omnipräsent.
Für Lehrveranstaltungen bedeutet dies ganz grundsätzlich, dass mobile Endgeräte das Verhalten von Studierenden mitbestimmen. Aufseiten von Lehrenden bestehen dabei Erfahrungen, dass mobile Endgeräte die Studierenden ablenken. Dem gegenüber gilt seit längerem die Digitalisierung in der Lehre und damit auch der Einsatz von mobilen Endgeräten in Lehrveranstaltungen als ein zentrales und wichtiges Zukunftsfeld in der Weiterentwicklung der Hochschullehre (Quibeldey-Cirkel, 2018; Wannemacher, 2018). Es scheint also ein Spannungsfeld zu geben und es stellt sich die Frage des guten (d.h. für den Lernprozess der Studierenden unterstützenden) Umgangs mit mobilen Endgeräten in Lehrveranstaltungen.
Im Folgenden werden dazu zunächst Erkenntnisse zur Nutzung mobiler Endgeräte in Lehrveranstaltungen dargestellt, um darauf aufbauend zu diskutieren, welche Schlüsse hieraus für den didaktischen Umgang damit gezogen werden können.
Digitale Endgeräte als nützliches Hilfsmittel in der Lehre
Nähert man sich dem Thema der mobilen Endgeräte aus einer positiven Erwartungshaltung heraus, so lässt sich zunächst beobachten, dass viele Lehrende und Studierende mobile Endgeräte auf produktive Weise in den Lehrveranstaltungen nutzen. Anwendungsbeispiele dafür sind z.B. das Verfassen von Notizen, die begleitende Rezeption von Präsentationsfolien, Foto-Dokumentation, Nutzung als Arbeitswerkzeug in Gruppenarbeiten, als Medium für die Teilnahme an Live-Abstimmungen oder als kollaborative Online-Werkzeuge. Für Online-Lehrveranstaltungen sind die mobilen Endgeräte ohnehin Voraussetzung. Vor diesem Hintergrund betonen medien- und hochschuldidaktische Diskussionen das große Potenzial, welches mobile Endgeräte für eine didaktische Weiterentwicklung der Hochschullehre bieten (Wannemacher, 2018, 756ff).
Am sichtbarsten sind dabei die Überlegungen und Forschung zum Einsatz von , auch Live-Abstimmungssysteme genannt, und die damit verbundenen möglichen Lehr-Lernszenarien (Brunnhuber & Prey, 2018; Quibeldey-Cirkel, 2018). Praxisbeispiele zeigen eine Vielzahl Audience-Response-Systemen. Hervorgehoben wird insgesamt, dass die Integration mobiler Endgeräte in Lehrveranstaltungen das Potenzial hat, die Aufmerksamkeit, die Aktivität und somit letztendlich den Lernerfolg der Studierenden positiv zu unterstützen. Diese didaktischen Bestrebungen treffen auf ein Umfeld, in dem strategisch versucht wird, die Digitalisierung an Hochschulen voranzutreiben (vgl. KMK 2016) und in dem die technischen Voraussetzungen, mobile Endgeräte in das didaktische Repertoire zu integrieren, an Hochschulen vergleichsweise gut sind. denkbarer Anwendungen
Empirisch wird das Phänomen „mobile Endgeräte in universitären Lehrveranstaltungen“ unter den verschiedensten Blickwinkeln untersucht. Für die Frage des didaktischen Umgangs mit Smartphones und Co. spielen jedoch auch Erkenntnisse über digitale Nebenaktivitäten, also Aktivitäten, die nichts mit dem Thema der Lehrveranstaltung zu tun haben, eine Rolle.
Digitale Nebenaktivitäten und ihre Folgen für das Lernen
Die Internetnutzung, insbesondere Messenger, News und Soziale Medien, aktiveren das Belohnungssystem im Gehirn (Dopamin) und machen daher Spaß. Das erklärt, warum es bei vielen Menschen zunehmend zur Entwicklung einer automatisierten Gewohnheit kommt, das Smartphone zu checken (Firth et al., 2019). Eine Untersuchung von 2021 zeigt, dass häufig Angst aufkommt, wenn das Smartphone nicht erreichbar ist. Schon nach 10 Minuten konnten Studierende sich nicht mehr konzentrieren. Auch die sogenannte „Fear of Missing Out“ – die Angst, eine Nachricht zu verpassen – kann hinderlich für das Lernen sein. Je stärker diese Angst ist, umso leichter lassen Lernende sich ablenken Dontre, 2021). Mittlerweile wird die Smartphone Abhängigkeit als Suchtform diskutiert.
Der endlose Strom verknüpfter Internetmöglichkeiten verführt, gleichzeitig multiple Inputs zu nutzen: das sogenannte „Media Multi-Tasking“. Häufig bleibt die Aufmerksamkeit dabei jedoch oberflächlich. Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen, die viel Multi-Tasken schlechtere Leistungsergebnisse in verschiedenen kognitiven Aufgaben haben, unter anderem bei der Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit (Firth et al., 2019). Außerdem kann durch Multi-Tasken die Gedächtnisspeicherung beeinträchtigt sein, Stress und Müdigkeit können zunehmen und langfristig kann die Aufmerksamkeitsspanne bei Lernenden sinken. Lernende, die sehr leicht ablenkbar sind, wechseln häufiger zwischen Anwendungen als andere und müssen sich mehr anstrengen, wenn sie sich nicht ablenken lassen wollen (Firth et al., 2019).
Studien seit 2013 zeigen, dass ein Großteil der Studierenden ihre mobilen Endgeräte mindestens gelegentlich in Lehrveranstaltung und beim eigenständigen Lernen nebenbei – also nicht zu Lernzwecken – nutzen. Durch das gewohnheitsmäßige Checken von Smartphones wird die Aufmerksamkeit unterbrochen (Biedermann et al.,2021). Die kognitive Kapazität für Lerninhalte sinkt.
Zahlreiche experimentelle Studien zu digitalen Nebenaktivitäten während des Lernens kommen zu eindeutigen Ergebnissen: die akademische Leistung sinkt – Verstehensleistungen, Erinnern, Behalten und Prüfungsergebnisse leiden (u.a. Lepp et al., 2019, Rosen et al., 2013, Zang, 2015). Besonders betroffen sind Studierende, die über geringe verfügen. Umgekehrt lassen Studierende mit guten Noten sich durchschnittlich weniger digital ablenken (Tassone et al. 2020). Selbstregulationsfähigkeiten
Wieviel Zeit verbringen Studierende mit digitalen Nebenaktivitäten?
Studien, die sich mit digitalen Nebenaktivitäten in Lehrveranstaltungen beschäftigt haben, liefern folgende Ergebnisse: Studierende versendeten Textnachrichten und E-Mails, besuchten soziale Online-Netzwerke, sahen sich Videos an, surften auf Webseiten, spielten Videospiele, hörten Musik und chatteten. Jüngere Studierende zeigen dieses Verhalten mehr als ältere. In Online-Lehrveranstaltungen waren diese Aktivitäten noch signifikant häufiger als in Vor-Ort-Veranstaltungen (Lepp et al.; 2019). Studierende tendieren mehr zu Nebenaktivitäten, wenn andere um sie herum es auch tun. Hingegen kontrollieren Studierende, die eine positive Einstellung zu Nebenaktivitäten haben, dieses Verhalten in Vor-Ort-Lehrveranstaltungen besser als in Online-Kursen. Wahrgenommene Kontrolle hat einen wichtigen Einfluss. Physisch anwesende Gleichaltrige und Dozent*innen, die Regeln und soziale Normen gegen Multitasking durchsetzen, machen Multitasking weniger wahrscheinlich.
In einer Studie aus 2022 () mit 630 Studierenden betriebswirtschaftlicher Studiengänge verbrachten Studierende durchschnittlich 15% der Zeit in Vor-Ort-Veranstaltungen mit digitalen Nebenaktivitäten, dagegen 22% in Online-Lehrveranstaltungen. Vor Ort nutzten 24 % der Studierenden ihre digitalen Endgeräte gar nicht und 17% zwischen 11 und 30 Mal pro Tag. (Die verbleibende Anzahl an Studierenden liegt dazwischen.) Online nutzen 5 % ihre mobilen Endgeräte nicht für digitale Nebenaktivitäten, während 24% zwischen 11 und 30 Mal und 15% sie sogar mehr als 30 Mal pro Tag nutzen (Tabelle 1). Aivaz et al., 2022
Zwar berichteten 24 % der Studierenden, dass sie durch die Nebenaktivitäten nicht abgelenkt seien, 12% der Studierenden in beiden Settings sagten jedoch von sich, dass sie so abgelenkt seien, dass sie gar nicht mehr auf die Lehrveranstaltung fokussieren könnten (Tabelle 2). Der Rest war teilweise abgelenkt (). Es handelt sich hier um Selbstberichte. Die Zeit, die tatsächlich mit digitalen Nebenaktivitäten verbracht wird, liegt vermutlich noch etwas darüber. Gehlen-Baum (2017, S. 269) verweist darauf, dass Selbsteinschätzungen von Studierenden nur wenig valide Ergebnisse liefern, sodass dies auch dazu führt, dass die Beschäftigung mit vorlesungsfernen Aktivitäten deutlich unterschätzt werden kann. Aivaz et al., 2022
In Bezug auf klassische Vorlesungen arbeiten Gehlen-Baum & Weinberger (2014) in einer videobasierten Studie von insgesamt 21 Vorlesungen aus unterschiedlichen Fächern (Erziehungswissenschaften, Informatik und Betriebswirtschaftslehre) heraus, dass mobile Geräte zu weniger als einem Drittel lehrveranstaltungsbezogen genutzt werden. Faktisch über die gesamte Vorlesung hinweg, nutzten Studierende mobile Endgeräte mehr mit vorlesungsfernen als mit vorlesungsnahen Aktivitäten. Auffällig ist dabei, dass in der zweiten Hälfte von Vorlesungen die vorlesungsferne Nutzung noch einmal zunimmt (Gehlen-Baum, 2017).
Hinzu kommt, dass Studierende erheblich auch durch lehrveranstaltungsferne Nutzung von mobilen Endgeräten der anderen Studierenden abgelenkt und in ihrem Lernerfolg beeinträchtigt werden (Sana, 2013). Ganz besonders ablenkend sind bewegte Bilder von Videospielen auf Laptops neben oder vor Lernenden.
Studierende sind sich durchaus bewusst, dass Nebenaktivitäten schädlich für Lernen und Prüfungsleistungen sind, dennoch ändern sie ihr Verhalten zumeist nicht (Tassone et al., 2020).
Auswirkungen von Verhalten Lehrender auf die Nutzung digitaler Geräte in Lehrveranstaltungen
Die Untersuchung von Gehlen-Baum & Weinberger (2014) zu Lehraktivitäten und der Nutzung von mobilen Endgeräten durch die Studierenden zeigt, dass ein klarer Zusammenhang zwischen der konkreten Lehraktivität und dem Nutzungsverhalten mobiler Endgeräte aufseiten der Studierenden besteht. Ein hoher Redeanteil der Lehrenden (>91%) und ein hoher Anteil einer reinen Wissens-/Informationsdarbietung machen digitale Nebenaktivitäten deutlich wahrscheinlicher. Die unerwünschte Nutzung nimmt hingegen ab, wenn die Studierenden aktiv in die Lehrveranstaltung eingebunden werden.
Fazit
Insgesamt kommen wir zu dem Schluss, dass die Nutzung mobiler Endgeräte ein hohes didaktische Potential hat, jedoch auch große Gefahren für Aufmerksamkeit, Lernen und Prüfungsleistungen birgt. Entsprechend müssen Smartphones und Notebooks also regelgeleitet und didaktisch geschickt eingesetzt werden. Dazu mehr im folgenden Beitrag.