Wie funktioniert selbstreguliertes Lernen?

„Wenn ich daran denke, was ich alles zu erledigen habe, wird mir ganz schlecht! Nächste Woche habe ich zwei Klausuren, in der Woche darauf nochmal zwei; danach habe ich nur noch eine Woche Zeit für meine Hausarbeit; und einen Praktikumsplatz für die nächsten Semesterferien muss ich auch noch suchen…“
Solche und ähnliche Situationen erleben die meisten Studierenden im Rahmen ihres Studiums. Dies liegt daran, dass ein Hochschulstudium den Lernenden im Vergleich zu anderen institutionalisierten Ausbildungen zahlreiche Wahlmöglichkeiten und Freiheitsgrade lässt, z. B. hinsichtlich der Strukturierung des Verlaufs, der Auswahl aus Modulen und Veranstaltungen sowie der Gestaltung der Lernprozesse. Wie gut Studierende mit derartigen Mehrfachbelastungen umgehen können, hängt zentral von ihrer Fähigkeit ab, sich selbst zu regulieren. Selbstregulation beim Lernen für das Studium bezieht sich dabei darauf, „die eigenen Gedanken, Emotionen und Handlungen zielgerecht zu steuern“ (Landmann, Perels, Otto, Schnick-Vollmer & Schmitz, 2015, S. 46). Der Ausgangspunkt ist also die individuelle Zielsetzung, die z. B. darin bestehen kann, eine bestimmte Note zu erreichen oder auch nur eine bestimmte Lehrveranstaltung zu bestehen. Selbstregulierte Lerner richten ihre Gedanken, Gefühle und ihr Verhalten darauf aus, dieses Ziel zu erreichen.
Während in der Psychologie der Begriff des selbstregulierten Lernen als Oberkategorie verwendet wird, wird dasselbe Phänomen im erziehungswissenschaftlichen Kontext häufiger als selbstgesteuertes oder selbstbestimmtes Lernen benannt (Levin & Arnold, 2009). Hiermit wird betont, dass im Studium die Ziele der Selbstregulation von den Lernenden mitbestimmt und ausgewählt werden. Daher werden diese Begriffe meist auf Situationen bezogen, in denen Lernende uneingeschränkt aus sich selbst heraus ein Lernziel wählen (Saks & Leijen, 2014). Stattdessen ist beim selbstregulierten Lernen meist zumindest eine grobe Zielsetzung vorgegeben (z. B. das Verfassen einer Hausarbeit zu einem bestimmten Thema).
Die Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen zielt dabei im Kern auf drei Bereiche ab:
1. Im Bereich der Kognition (z. dt. Denkprozesse) werden Vorgänge wie die Aufnahme, die Verarbeitung, die Speicherung und der Abruf von lernrelevanten Informationen gesteuert. Hier geht es beispielsweise darum, sich während des Hörens eines Vortrags auf den Inhalt zu konzentrieren, dabei Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen und das Gelernte dauerhaft verfügbar zu halten, sodass es in zukünftigen Situationen abgerufen werden kann.
2. Der Bereich der Metakognition betrifft die Auseinandersetzung mit den eigenen Denkprozessen, das Nachdenken über das eigene Denken. Dies umfasst die Planung, die Überwachung und die Bewertung, die auf gegebenenfalls erforderliche strategische Anpassungsprozesse beim Lernen aufmerksam machen. Dies betrifft beispielsweise die Einteilung der Lernzeit und die Portionierung des Lernstoffs, das Entdecken von Wissenslücken und Fehlvorstellungen. Auch das Prüfen, ob die selbstgesetzten Lernziele erreicht wurden, gehört zur Metakognition.
3. Unter den Bereich der Motivation fallen die Initiierung des Lernprozesses, die Aufrechterhaltung der Lernaktivitäten sowie der Motivation über den Zeitverlauf (sog. Volition) des Lernens sowie das Fällen handlungsförderlicher Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Attributionen. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beziehen sich auf das eigene Vertrauen darauf, den Anforderungen des Studiums gewachsen zu sein und die damit verbundenen Herausforderungen bewältigen zu können. Bei Attributionen handelt es sich um Ursachenzuschreibungen für den Miss-/Erfolg beim Lernen und in Prüfungen, die die Lernmotivation für neue Aufgaben wesentlich beeinflussen können. Erklärt sich beispielsweise eine Studentin eine schlechte Note so, dass sie zu wenig Zeit zum Lernen für die Prüfung investiert und sich nicht genug angestrengt hat, ist es wahrscheinlich, dass sie für die nächste Klausur früher und gründlicher zu lernen beginnt. Ist sie jedoch davon überzeugt, dass sie nicht begabt genug ist den Stoff zu verstehen, wird sie vermutlich kaum einen Mehrwert darin sehen, in der nächsten Prüfungsvorbereitungsphase intensiver zu lernen. Dieses (subjektive) Erklärungsmuster für den Misserfolg stimmt jedoch nicht zwangsläufig mit den tatsächlichen Ursachen überein.
Alle drei Bereiche sind für das erfolgreiche Studieren essentiell, wobei die Herausforderungen je nach Aufgabe und Anforderung in einem oder mehreren Teilbereichen liegen können. Ferner bestehen individuelle Unterschiede zwischen den Lernenden: Während einige Studierende gut organisiert und zielstrebig ihre Aufgaben erledigen, fühlen sich viele andere überfordert und geraten in Zeitdruck – in manchen Fällen werden sogar die unangenehmen Aufgaben so lange aufgeschoben, dass von einer chronischen Prokrastination, also dem unbegründeten Aufschieben von Lernhandlungen, ausgegangen werden muss.
Die Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen wird zum einen als eine wichtige Voraussetzung für den Studienerfolg angesehen und soll zum anderen in der Hochschule eingeübt und weiterentwickelt werden (KMK, 2005). Ihr Stellenwert zeigt sich auch daran, dass die Selbstlernphase nun explizit in die Berechnung des Workloads einfließt. Die gute Nachricht ist: Sie kann trainiert werden! Aus diesem Grund wurde die Förderung selbstregulierten Lernens seit der Bologna-Reform zunehmend in den Blick genommen: Hochschulen werden dazu angehalten, günstige Lernumgebungen zu schaffen in denen die Fähigkeit zur studentischen Selbstregulation gefördert wird.
Im vorliegenden Artikel wird dargestellt, wie Dozierende ihre Studierenden darin unterstützen können, selbstregulierte Lerner zu werden. Im zweiten Abschnitt wird ein theoretisches Modell beschrieben, das den prototypischen, wünschenswerten Prozess des selbstregulierten Lernens darstellt. Im darauffolgenden dritten Abschnitt des Artikels werden konkrete didaktische Gestaltungsvorschläge für universitäre Lehrveranstaltungen erläutert, die das selbstregulierte Lernen der Studierenden unterstützen und fördern können. Der Artikel schließt mit einer exemplarischen Darstellung von Trainingsprogrammen im vierten Kapitel.
