Positives Kommunikationsklima

Wie schaffe ich ein positives Kommunikationsklima in meiner Lehrveranstaltung?

Lehrende an Hochschulen sind natürlich Expert*innen in Ihrem Fach. Bei den meisten ist aber davon auszugehen, dass sie sich das Lehren mehr oder weniger autodidaktisch angeeignet haben. Da ein Pädagogik- oder ein ähnliches Studium sich kaum nachholen lässt, versuchen sie, das Beste daraus zu machen. Sie stehen täglich vor ihren Studierenden, und dennoch erleben viele Lehrende die Lehre immer wieder als Herausforderung.

Was also tun? Um die Antwort vorwegzunehmen: Gelingende Lehre hängt nicht nur von einer grundsätzlichen Lernbereitschaft der Studierenden, von einer angemessenen akademischen Fachexpertise der Lehrenden und von ihren didaktischen Fähigkeiten, sondern mitentscheidend auch von einer stimmigen Kommunikation mit den Studierenden ab.

Die ersten drei Punkte sind vermutlich Konsens. Was aber ist mit der stimmigen Kommunikation?

Zunächst ist festzustellen, dass das Kommunikationsklima immer von den Lehrenden geprägt wird: Alle richten sich an ihnen aus, sie sind Gastgeber*innen, stehen vorne, sind die Nummer eins, auf die alle schauen. Sprich: Die Lehrenden haben die Macht. Das Kommunikationsklima in der Lehrveranstaltung wird von ihnen geprägt, egal ob man das möchte oder nicht. Und wenn damit etwas nicht stimmt, kann erstmal nur die lehrende Person etwas daran ändern.

Warum ist es so wichtig aus Sicht der Lehrenden stimmig zu kommunizieren? Lehre in Präsenz und Digital ist ein Miteinander von Menschen, und dieses Miteinander funktioniert dann am besten, wenn es ein wechselseitiges Basis-Vertrauen und eine ungefähre Einschätzung gibt, woran die lehrende Person und Studierende miteinander sind. Mit einer stimmigen Kommunikation machen Lehrende sich nicht nur in ihrer professionellen Rolle, sondern auch als Mensch für die Studierenden ein Stück weit sichtbar und bauen so eine Beziehung auf.

Was ist stimmige Kommunikation? Die Antwort darauf lässt sich gut bei Friedemann Schulz von Thun nachlesen, emeritierter Professor an der Universität Hamburg und Autor der vierbändigen Buchreihe „Miteinander reden“. Unter stimmiger Kommunikation versteht Schulz von Thun eine Kommunikation, die erstens authentisch ist und zweitens situationsgerecht. Authentisch meint hier: übereinstimmend mit sich selbst, mit den je eigenen Bedürfnissen, Werten, Grenzen, etc., auch den eigenen Emotionen. Situationsgerecht heißt: übereinstimmend mit der „Wahrheit der Situation“, wie Schulz von Thun es nennt. Gemeint ist, dass jede:r bei der Kommunikation ebenso wie sich selbst auch die Bedürfnisse, Werte, Grenzen, Emotionen etc. des Gegenübers im Blick haben sollte, dazu noch die Erfordernisse der äußeren Situation und der jeweiligen Rollen.

Das klingt komplex; in der Regel haben Menschen aber ein sehr gutes Gespür für sich und die Situation und bringen diese oft gegensätzlichen Erfordernisse intuitiv in Einklang. Wenn das aber in bestimmten Situationen nicht gut gelingt, stößt es allen Beteiligten als Unstimmigkeit auf: Die Kommunikation ist gestört.

In der „Philosophie des Hauses“, der Essenz seiner Erkenntnisse schreibt Schulz von Thun: „Gelingende Kommunikation ist eine ewige Lebensaufgabe, ist Mittel und Ziel eines gelingenden Miteinanders auf Erden.“ Es gibt nach all seiner Erfahrung kein allgemeingültiges Rezept für stimmige Kommunikation, keine abgeschlossene Anleitung, die alle Probleme mit überschaubarem Aufwand löst. Das Ziel der Authentizität in der Kommunikation erfordert also die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren, für sich zu klären, was einen ausmacht, und sich dabei auch den eigenen inneren Ambivalenzen und Konflikten zu stellen.

Irvin Yalom, emeritierter Professor der Universität Stanford, Bestsellerautor und Psychotherapeut, sagt in einem dokumentarischen Film über sein Leben dazu recht passend: „Je besser wir uns selber kennen, desto besser wird unser Leben. Wenn wir Probleme bekommen, hat das oft mit Teilen unseres Selbst zu tun, die wir nicht kennen.“

Jedes Individuum ist also als Mensch gefordert, sich hier weiterzuentwickeln. Es muss sich individuell auf den herausfordernden Weg machen. Zur Unterstützung hierbei haben Schulz von Thun und andere Kommunikationswissenschaftler*innen eine Reihe von Werkzeugen in Form von Kommunikationsmodellen entwickelt.

Was kann das heißen? Ein fiktives Beispiel, sehr verkürzt dargestellt: Eine Lehrende nimmt in ihren Lehrveranstaltungen immer wieder Kommunikationsprobleme mit den Studierenden wahr, die sie sich zunächst nicht erklären kann. Sie schätzt sich selbst – durchaus positiv – als zurückhaltende Person ein, bekommt aber von Studierenden auf vorsichtige Nachfrage hin das kritische Feedback, dass sie von vielen Studierenden als distanziert und uninteressiert wahrgenommen wird. Das ist zunächst schmerzhaft für sie, aber sie nimmt es ernst und reflektiert es unter anderem in einer Supervision. Sie befasst sich mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat nach Nicolai Hartmann und erkennt für sich, dass es zu dem von ihr betonten Wert der Zurückhaltung einen ergänzenden Wert gibt: Offenheit für Begegnungen. Sie arbeitet daran, diese beiden Werte für sich nach und nach besser miteinander zu verbinden. Diese persönliche Entwicklung (Dass Entwicklung individuell möglich ist, dafür ist Friedemann Schulz von Thun selbst ein hervorragendes Beispiel) wird mit der Zeit zunächst für sie, dann aber auch für die Studierenden spürbar, und das Kommunikationsklima verbessert sich. – Entsprechende Beispiele lassen sich auch für beliebige andere gegensätzliche Wertepaare finden.

Was kann noch helfen?

  • Lehrende sollten sich beim ersten Termin ihrer Lehrveranstaltung etwas Zeit nehmen und so viel von sich erzählen, dass sie für die Studierenden nicht nur als Vertreter:in der Rolle der „lehrenden Person“, sondern ein wenig auch als Mensch sichtbar werden. Menschen sind soziale Wesen, und es erschwert die Zusammenarbeit, wenn ihnen ein Gegenüber nur als Rolle erscheint und sie keine persönliche Beziehung aufbauen können.
Abb. 1: Werte und Entwicklungsquadrat nach Nicolai Hartmann
Abb. 1: Werte und Entwicklungsquadrat nach Nicolai Hartmann
  • Gegenseitige Erwartungen vorab oder frühzeitig zu klären, ist die beste Methode, Missverständnisse, Ärgernisse und Konflikte präventiv zu vermeiden. Lehrende sollten deshalb benennen, was die Studierenden von ihnen erwarten dürfen. Sie sollten aber auch klar benennen, was sie von den Studierenden erwarten.
  • Es ergibt keinen Sinn darüber enttäuscht zu sein, es nicht nur mit intrinsisch motivierten Studierenden zu tun zu haben. Zu glauben, früher seien viel mehr Studierende intrinsisch motiviert gewesen, ist eine Illusion. Lehrende sollten ggf. solche Illusionen loslassen, denn sie machen ihnen nur das Leben schwer. Genauso wenig sinnvoll ist es, sich andere Studierende zu wünschen. Aufgabe von Lehrenden ist es, die Studierenden, so wie sie erstmal sind, darin zu unterstützen, sich einen Lernerfolg zu erarbeiten.
  • Hilfreich ist es einmal die Perspektive zu wechseln: „Wenn ich heute Student:in wäre, wie müssten meine idealen Lehrenden auftreten?“ Glaubwürdiges Interesse an den Studierenden und deren Lernerfolg gehören sicher dazu. Wem es als lehrende Person gelingt, dieses eigene Idealbild selbst zumindest immer wieder anzustreben, hat schon halb gewonnen. Auch als Mensch „Ecken und Kanten“ zu haben, muss kein Problem sein, solange diese benannt werden und das grundsätzliche Interesse an den Studierenden und ihrem Lernerfolg nicht beeinträchtigt ist.
  • Falls das Kommunikationsklima sich verschlechtert, ist es zuallererst die Verantwortung Lehrender, sich darum zu bemühen, es wieder ins Positive zu wenden. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Lehrende sollten das Problem ansprechen, situationsgerecht und gleichzeitig authentisch, und mit den Studierenden ins Gespräch kommen. Vielleicht am besten in kleiner Runde im Büro, und gegebenenfalls mit einer neutralen Person.
  • Wenn Lehrende mit Studierenden sprechen, sollten sie versuchen, deren Sichtweise zu verstehen, und was der Kern ihres Problems ist. Nur wenn das gelingt, lässt sich das Problem auch lösen. Die Sichtweise der Studierenden verstehen, heißt aber nicht, ihre Sichtweise übernehmen zu müssen!
  • Konstruktiv-kritisches Feedback von Kolleg:innen oder anderen Personen des Vertrauens, zu denen kein Abhängigkeitsverhältnis besteht, kann sehr hilfreich sein. Jede lehrende Person sollte und darf sich die Hilfe holen, die benötigt wird.
  • Wenn Lehrende sich in ihrer Rolle unwohl fühlen, ist es unvermeidlich, dass sich das den Studierenden über die Stimme, Mimik und Körpersprache mitteilt. Lehrende sollten deshalb dafür sorgen, dass sie Freude am Lehren haben.
  • Zur Entlastung: Lehrende können Studierende beim Lernen nur unterstützen, Lernen müssen die Studierenden selbst. Lernen ist eine Aktivität der/des Lernenden, nicht der/des Lehrenden. Die Verantwortung der Lehrenden hat Grenzen.
  • Sich ein Stück in der Kommunikation zu professionalisieren, erleichtert das Leben als lehrende Person. „Miteinander reden“ ist ein guter Ausgangspunkt dafür. Lehrende können sich auch von aktuellen Ergebnissen der Lehr-Lern- Forschung anregen lassen. Stimmige Kommunikation lässt sich üben, und dazu bietet die Hochschule viele Freiräume und Möglichkeiten.
  • Fazit: Friedemann Schulz von Thun würde vielleicht sagen: Lehrende sollten versuchen, ihren professionellen, auf Expertise basierenden Auftritt in der Lehre mit sichtbarer Menschlichkeit zu verbinden. Das ist sicher nicht immer einfach, aber möglich.

Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 1-4: Störungen und Klärungen / Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung / Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation / Fragen und Antworten, Rowohlt 2014

Schulz von Thun Institut für Kommunikation, Die Philosophie des Hauses Leitende Gedanken und Erkenntnisse in 16 Punkten (Stand: 09.03.2018)

Yaloms Anleitung zum Glücklichsein, Dokumentarfilm von Sabine Gisiger, alamode-Film 2014