Einführung in das didaktische Konzept

Praxisbeispiel Serious Game Lehreinheit am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften

In diesem Beitrag schildert ein Lehrender der TU Darmstadt seine spannende Veranstaltungseinheit. Ziel ist, dass Studierende hautnahe die agile Methode „Scrum“ aus dem Projekt- und Produktmanagement erleben. Dies gelingt in einem Serious Game mit Lego. Die Einheit ist so konkret beschrieben, dass sie leicht übertragbar ist und in ähnlicher Weise von anderen Lehrenden genutzt werden kann.

Im Rahmen der Lehrveranstaltung „Innovative Behavior“ (früher „Innovationsverhalten“) des Fachgebiets für Technologie- & Innovationsmanagement der TU Darmstadt wurde eine Lehreinheit konzipiert, um die Methode Multi-Team Scrum zu vermitteln. Die Praxisveranstaltung hat das Ziel, die in der Industrie immer mehr an Bedeutung gewinnende agile Denkweise bereits im Studium praktisch zu erfahren. Dieses Ziel soll im Rahmen eines Serious Games erreicht werden und ist inspiriert durch Krivitsky (2017). In diesem Bericht werden die grundlegende Motivation, einige Vorüberlegungen und der übergeordnete Ablauf dieser Lehreinheit beschrieben. Abschließend werden einige zentrale didaktische Elemente der Einheit diskutiert.

Führende Unternehmen, insbesondere in der Softwareentwicklung, überdenken immer stärker, wie sie durch Erkenntnisse aus der Interaktion mit ihren Kunden kontinuierlich Produkt- und Prozessinnovation und somit Wettbewerbsvorteile erzielen können. Anstatt sich intern auf die Gestaltung der eigenen Wertschöpfungskette zu konzentrieren, organisieren sich diese Firmen von außen nach innen, wobei sie von den Bedürfnissen der Kunden ausgehen und versuchen, Marktchancen kreativ zu nutzen, egal, wie sie sich ergeben, wie auch immer sie geliefert werden und wer sie am besten liefert (Gulati, 2010). Gewinne werden deshalb in einer Weise erzielt, die die Kunden tatsächlich schätzen. Diese Unternehmen erkennen, dass die Gewinne aus einzelnen Innovationen oft nur von kurzer Dauer sind und wenden diesen Ansatz für kundenorientierte Innovationen an, um schneller zusätzlichen Kundenwert zu schaffen. Eine Outside-in-Orientierung, die den Kundenwert maximiert, erfordert jedoch eine Neuerfindung der Managementrollen, Praktiken, Werte und Kommunikationsweisen – diesen Ansatz verfolgen sogenannte „agile“ Methoden in der Industrie (Hamel, 2009; Whitworth & Biddle, 2007), wie beispielsweise Scrum.

Ein Scrum Team besteht, kurz zusammengefasst, aus sechs zentralen Elementen (siehe Abbildung 1): Dem Product Owner, dem Scrum Master, dem Development Team, dem Product Backlog, den Sprints und den Deliverables. Dem Product Owner gehört das Endprodukt. Er ist meist der Geldgeber des Projekts und entscheidet repräsentativ für die späteren Kunden, was die Produktbestandteile sein sollen. Der Scrum Master organisiert das Team und hält den Teammitgliedern den Rücken von organisatorischen Hürden frei. Das Development Team leistet die eigentliche Arbeit in kurzen Iterationszyklen (den Sprints), die in der Industrie in der Regel wenige Wochen dauern. Die Aufgaben des Sprints stellt der Product Owner im Product Backlog in priorisierter Reihenfolge zur Verfügung. Die Teams müssen die Aufgaben mit der höchsten Priorität zuerst übernehmen, dürfen aber selbst entscheiden, wie lange sie dafür benötigen. Das Ergebnis eines jeden Sprints wird Deliverable genannt.

Abbildung 1: Schematische Darstellung eines Scrum Projekts
Abbildung 1: Schematische Darstellung eines Scrum Projekts

Die Arbeitsweise in agilen Teams unterscheidet sich substanziell von der „klassischen“ Arbeitsweise in Teams. Die „klassische“ Arbeitsweise wird zentral vom Teamleiter/Projektmanager, durch alleinige Verantwortung von Zeit, Qualität und Kosten, bestimmt. Zudem sind Weg und Ziel zu Beginn fest definiert. Die agile Arbeitsweise überlässt hingegen dem Team zentrale Verantwortungsbereiche und definiert Ziele Schritt für Schritt (Richterich, 2020). Insbesondere die folgenden Prinzipien zeichnen agile Arbeitsweise aus (Denning, 2013):

  • 1. Die Arbeit ist in kurzen Sprints organisiert.
  • 2. Das Management unterbricht das Team während eines Arbeitszyklus nicht.
  • 3. Das Team erstattet dem Product Owner Bericht, nicht dem Manager.
  • 4. Das Team schätzt den Zeitaufwand für die Arbeit selbst ab.
  • 5. Das Team entscheidet, wie viel Arbeit es in einem Sprint erledigen kann.
  • 6. Das Team entscheidet, wie es die Arbeit im Sprint erledigt.
  • 7. Das Team misst seine eigene Leistung.
  • 8. Die Arbeitsziele werden vor Beginn jedes Zyklus definiert.
  • 9. Die Arbeitsziele werden durch User Stories definiert.
  • 10. Hindernisse, die die Arbeit behindern, werden systematisch und kontinuierlich beseitigt.

Diese Prinzipien sollen den Studierenden im Rahmen der Praxisveranstaltung, teils explizit, teils implizit, vermittelt werden. Sie sollen den Unterschied zur bisher bekannten Teamorganisation spüren und verinnerlichen. Außerdem sollen sie die Vorteile, aber auch ihre Grenzen, dieser Arbeitsweise erkennen.

Relevante Vorüberlegungen für die Durchführung der Veranstaltung sind insbesondere das Format, der Interaktionsgrad sowie der zeitliche Rahmen. Das Format soll als Serious Game durchgeführt werden, in vorliegenden Fall also ein Workshop, welches im Rahmen eines Spiels zentrale Elemente von Scrum sowohl explizit, aber auch implizit vermitteln kann. Die, meiner Meinung nach, zwei wichtigsten Gründe für eine Anwendung des Gamification Ansatzes sind das Leistungsfeedback und die Lernnachhaltigkeit. Gamification bietet sofortigen Zugang zu Leistungsfeedback, indem ein Scheitern unmittelbar einen Reflexionsprozess der Studierenden anstößt. Durch einen Wettbewerb innerhalb einer Gruppe steigt dabei auch die Motivation der Teilnehmenden. Darüber hinaus kann Gamification auch die Nachhaltigkeit des Lernens erhöhen. Je aktiver und selbstgesteuerter Studierende Inhalte lernen, desto besser verinnerlichen sie die Lerninhalte. Zudem ist das Ziel der Lehreinheit, eine Abwechslung zu dem ansonsten sehr instruktiv gestalteten Rest der Lehrveranstaltung zu bieten. Daraus resultiert ein hoher Interaktionsgrad zwischen Studierenden und Lehrendem, aber auch zwischen den Studierenden selbst. Ein Nachteil einer so interaktiven Veranstaltung ist jedoch der Zeitaufwand. Nicht nur wird es viel Zeit in Anspruch nehmen, die Räumlichkeiten vorzubereiten, sondern auch die Inhalte zu vermitteln, da mit viel Zeit für die Vermittlung des Rahmens für das Serious Game, aber auch für die Selbstorganisation im Team und die Koordination zwischen den Teams zu rechnen ist. Der zeitliche Rahmen sollte daher mindestens drei Stunden betragen.

Die Idee des Serious Games ist, die agile Projektmanagementmethode Scrum zu vermitteln. Dazu werden die Studiereden in ein fiktives Szenario eingeführt, bei welchem sie eine Stadt auf dem Mars bauen müssen – mit Klemmbausteinen natürlich. Um dieses große Projekt zu stemmen, müssen sie gemeinsam in mehreren Teams zusammenarbeiten und ihre Arbeit untereinander koordinieren. Ziel ist es, den ersten Entwicklungs-Sprint möglichst ohne Anleitung durchzuführen, die Teams also bewusst scheitern zu lassen, um den Vorteil der Methode Scrum zu motivieren. Anschließend wird die Methodik eingeführt und die Teams sollten, bei Einhaltung der Methodik, eine deutliche Verbesserung der Zusammenarbeit und des Ergebnisses erfahren. Der Ablauf ist im nächsten Abschnitt beschrieben.