Zentrale didaktische Elemente

Praxisbeispiel Serious Game Lehreinheit am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften

Die Lehreinheit enthält einige didaktische Elemente, welche den Lernerfolg erhöhen und gleichzeitig einen wichtigen Bestandteil der agilen Arbeitsweise ausmachen: Gamification, bewusstes Scheitern und kontinuierliches Feedback. Nach Blohm und Leimeister (2013) sind Leistungsverfolgung, kognitive Stimulation, soziale Anerkennung, sozialer Austausch, Selbstbestimmung und Wissbegierde (siehe Tabelle 2) Motive, welche in Spielmechaniken von Serious Games bewusst adressiert werden können, um die Motivation der Teilnehmenden und somit die Lernbereitschaft zu erhöhen. Meiner Meinung nach fördert Scrum mit Klemmbausteinen in gewisser Weise alle sechs Motive. Das Motiv der Leistungsverfolgung wird dadurch stimuliert, dass die Ergebnisse visuell und haptisch vor den Teilnehmenden entstehen sowie bewertet und anerkannt werden können. Die Gebäude können als eine Art persönliche Trophäe im Rahmen des Städtebaus betrachtet werden. Das fördert auch das Motiv nach sozialer Anerkennung in Verbindung mit erfolgreich geplant und durchgeführten Sprints im Vergleich zu anderen Teams. Die soziale Anerkennung verstärkt der Lehrende nochmals in der Rolle des Product Owners, indem der Lehrende nach jedem Sprint besonders gute Gebäude hervorhebt und fragt, wer das gebaut hat. Wenn ein Gebäude die Anforderungen der Definition of Done oder der Beschreibung auf dem Post it nicht entspricht, wird das Gebäude dem Team für den nächsten Sprint zurückgegeben. Beide Motive werden durch kognitive Stimulation weiter verstärkt, indem ein künstlicher Zeitdruck aufgebaut wird (wenig Zeit, großer Timer an Beamer, lautes Klingeln des Timers), unter welchem konkrete Aufgaben zu bewältigen sind (Blohm & Leimeister, 2013; Deterding et al., 2011; Witt et al., 2011).

Tabelle 2: Spiel-Design-Elemente und Motive; nach Blohm und Leimeister (2013)

Motiv Spiel-Dynamik Spiel-Mechanik bei Scrum mit Klemmbausteinen
Leistungsverfolgung Sammeln Gebaute Gebäude bzw. Stadt als Trophäen
Kognitive Stimulation Herausforderungen Zeitdruck, Aufgaben, Missionen
Soziale Anerkennung Wettbewerb Einhaltung des Sprintplans im Vergleich zu anderen Teams
Sozialer Austausch Zusammenarbeit Teamwork und Austausch zwischen Teams
Selbstbestimmung Entwicklung/Organisation Handlungsfreiheit bzgl. Umsetzung mit Klemmbausteinen Mars-Szenario als Zukunftsszenario mit „unbegrenzten“ Möglichkeiten
Wissbegierde Exploration Neue Wege beschreiten

Demgegenüber stehen die Motive nach sozialem Austausch, Selbstbestimmung und Wissbegierde, welche weniger kompetitiv ausgelegt sind. Der soziale Austausch wird im Rahmen der Sprints gefördert, sogar vorausgesetzt, da eine Bearbeitung der Aufgabe ohne sozialen Austausch und Koordination nicht möglich ist. Trotz all der Koordination und Kompetitivität hat jede einzelne Person einen hohen Anteil an Selbstbestimmung, da niemand vorschreibt, wie genau die Stadt auszusehen hat, wie viel Aufwand der Bau eines Gebäudes mit sich bringt und wie viele Gebäude innerhalb eines Sprint gebaut werden müssen, da diese Aspekte die Teams selbst bestimmen. Auch helfen die klaren Rollenzuwei-sungen (Armbinden, Namenschilder, Team-Tische), allen Teilnehmenden eine Aufgabe zu geben, in der sie sich frei ausleben können. Durch die gänzlich neue Perspektive der agilen Arbeitsmethode und dem für die meisten neuen Thema einer Marsbesiedlung wird auch das Motiv der Wissbegierde gefördert (Blohm & Leimeister, 2013; Deterding et al., 2011; Witt et al., 2011).

Ein zweites didaktisches Element ist das bewusste Scheitern – oder „vorwärts fallen“, wie es Mcgrath (1999) treffend bezeichnet. Bevor man jedoch pauschal das Scheitern gutheißt, muss zwischen schuldhaftem und lobenswertem Scheitern unterschieden werden (siehe Abbildung 9). Im Folgenden ist mit Scheitern insbesondere lobenswertes Scheitern gemeint. Man erkennt, dass Scheitern zum Zwecke der exploratorischen Erprobung das lobenswerteste Scheitern überhaupt ist (Edmondson, 2011). Ebenso verhält es sich mit Scheitern durch Experimentieren oder Ungewissheit – denn hier ist das Ergebnis nur schwer absehbar und ohne Scheitern würde es vermutlich nicht erreicht. Tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass Scheitern die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg erhöhen kann (Wilhelm et al., 2019). Ein solches Scheitern sollte folglich gefördert werden und ist deshalb auch Bestandteil dieser Lehreinheit. Es ist wichtig, im Zusammenhang mit agilen Methoden und iterativer Vorgehensweise in Form von Sprints von einer guten Fehlerkultur zu sprechen und ein Bewusstsein für die Vorteile des Scheiterns zu schaffen. Als günstigen Nebeneffekt kann schnelles Scheitern, wie es bei den Sprints der Fall ist, sogar motivierender sein, als schneller Erfolg (Deichmann & van den Ende, 2014), wenn sich Studierende herausgefordert fühlen und gleichzeitig merken, dass Scheitern nichts Schlimmes zu sein scheint. Tatsächlich konnte festgestellt werden, dass die Aufmerksamkeit der Studierenden dann am größten war, als sie feststellten, dass sie im ersten Sprint gescheitert waren und wissen wollten warum (siehe übergeordneter Ablauf, Schritt 7). Nach dem Review war auch die Motivation der Teams nicht geringer als zuvor. Daraus lässt sich schließen, dass sich durch dieses didaktische Element der Lerneffekt der Veranstaltung steigern ließ. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn die Arbeitsumgebung Scheitern auch zulässt bzw. sogar bewusst lobpreist (Baer & Frese, 2003), so wie es nach dem ersten Sprint umgesetzt wurde. Wird das nicht gemacht, kann es die Stimmung deutlich verschlechtern.

Abbildung 9: Ein Spektrum von Gründen für das Scheitern; nach Edmondson (2011)
Abbildung 9: Ein Spektrum von Gründen für das Scheitern; nach Edmondson (2011)

Ein drittes didaktisches Element, welches den Lernerfolg der Veranstaltung deutlich erhöhen konnte, ist das des kontinuierlichen Feedbacks. Die gesamte Veranstaltung fußt auf Interaktion und Feedback: Durch den Lehrenden, durch Kollegen und Kolleginnen (Aufwandsabschätzung, Sprint Planung) sowie durch die Sprint Reviews und die abschließenden Retrospektive. In Verbindung mit schnellem Scheitern ist gerade kontinuierliches Feedback ein sehr wertvolles Instrument, um Lernprozesse zu beschleunigen und nachhaltiger zu gestalten.

Autor:

Dr. Tobias Kruft, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Fachgebiet Technologie- und Innovationsmanagement, TU Darmstadt

Baer, M., & Frese, M. (2003). Innovation is not enough: Climates for initiation and psychological safety, process innovations, and firm performance. Journal of Organizational Behavior, 24(1), 45–68.

Blohm, I., & Leimeister, J. M. (2013). Gamification. Wirtschaftsinformatik, 55(4), 275–278.

Deichmann, D., & van den Ende, J. (2014). Rising from Failure and Learning from Success: The Role of Past Experience in Radical Initiative Taking. Organization Science, 25(3), 670–690.

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Deterding, S., Dixon, D., Khaled, R., & Nacke, L. (2011). From game design elements to gamefulness. Proceedings of the 15th International Academic MindTrek Conference on Envisioning Future Media Environments – MindTrek ’11, 9.

Edmondson, A. (2011). Strategies for Learning from Failure. Harvard Business Review, 89(4), 9.

Gulati, R. (2010). Reorganize for resilience: Putting customers at the center of your business. Harvard Business Press.

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Krivitsky, A. (2017). lego4scrum: A complete guide to #lego4scrum – a great way to teach the Scrum framework and Agile thinking (3rd Editio). Self-published.

Mcgrath, R. G. (1999). Falling forward. Real options reasoning and entrepreneurial failure. Academy of Management Review, 24(1), 13–30.

Richterich, J. (2020). Scrum versus Wasserfall – Ein Vergleich. https://www.online-projektmanagement.info/agiles-projektmanagement-scrum-methode/scrum-versus-wasserfallmodell/

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Wilhelm, H., Richter, A. W., & Semrau, T. (2019). Employee Learning from Failure: A Team-as-Resource Perspective. Organization Science.

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