Effektive Vorlesungsnotizen anregen

Soll ich die Studierenden zum Anfertigen von Notizen in Lehrveranstaltungen ermuntern?

In vielen Vorlesungen heutzutage wird eine Beamer-Präsentation genutzt. Die Folien, die zumeist die wichtigsten Stichworte und Grafiken enthalten, werden den Studierenden als Download zur Verfügung gestellt. (Manche Dozenten nutzen auch einen Tafelanschrieb, der nach und nach aufgebaut wird und somit eine angemessene Mitschreibgeschwindigkeit ermöglicht. Aber auch Tafelanschriebe können einfach fotografiert werden und brauchen eigentlich nicht mehr mitgeschrieben werden.) Daher liegt die Frage nahe, ob Lehrende die Studierenden überhaupt noch ermuntern sollen, sich außerdem noch eigene Notizen zu machen, damit sie sich die Inhalte leichter merken und wiederholen können? Oder anders gefragt: Kann das Anfertigen von eigenen Vorlesungsnotizen die Behaltenswahrscheinlichkeit und den Prüfungserfolg erhöhen?

Betrachtet man die Ergebnisse der Forschung in diesem Feld, so stellt man fest, dass viele ForscherInnen zu dem Schluss kommen, dass sich das Anfertigen von Notizen positiv auf die Behaltensleistung auswirkt (Anderson, Armbruster & Beranek, 1986). Selbst wenn Notizen im Nachhinein nicht erneut gesichtet werden, haben sie einen positiven, wenn auch kleinen Effekt (Effektstärke = 0.22) (Kobayashi, 2005). Das Durchsehen und die Nutzung von Notizen im Nachgang erhöht den Effekt.

Dies wird mit zwei Erklärungsansätzen begründet: der Enkodierhypothese und der Externer-Speicher-Hypothese.

Einspeicherung ins Gedächtnis durch höhere Verarbeitungstiefe

Eine Erklärung für die positive Wirkung von Notizen geht davon aus, dass Notizen machen die Verarbeitungstiefe bzw. Elaboration verbessert. Demnach unterstützt das Anfertigen von Notizen die Konstruktion von neuem Wissen und die Integration in bestehende Wissensstrukturen. Die Verarbeitungstiefe im Gedächtnis wirkt sich wiederum auf die Behaltenswahrscheinlichkeit aus (Anderson, Armbruster & Beranek, 1986). Außerdem führt das Anfertigen von Notizen zu verstärkter Aufmerksamkeit, zu zusätzlichen Assoziationen, Schlussfolgerungen und Interpretationen. Dabei gilt, je umfangreicher der Verarbeitungsprozess ist, desto reicher verknüpft, desto besser abrufbar sind die Informationen (Staub, 2006).

Es zeigt sich darüber hinaus, dass Studierende, die den „Klausurblick“ einschalten und prüfungsrelevante Inhalte notieren, erfolgreicher in ihrer Verarbeitungstiefe und Behaltensleistung sind, als Studierende, die versuchen, wörtlich mitzuschreiben (ohne zu verstehen) oder gar nur die Anzahl der Informationen notieren.

Außerdem werden zwar notierte Information besser behalten, aber nicht unbedingt andere Inhalte (Anderson, Armbruster & Beranek, 1986).

Das Anfertigen von Notizen in Lehrveranstaltungen braucht allerdings Zeit. Diese Zeit setzt sich zusammen aus dem Hören der Information, dem Verarbeiten der Information und dem Niederschreiben (Anderson, Armbruster & Beranek, 1986). Notizen machen ist also ein komplexer Vorgang, der viel Arbeitsspeicherkapazität des Gehirns beansprucht. Im schlimmsten Fall kann es sogar passieren, dass Studierende nicht mehr dem Vortrag folgen können, weil sie mit dem Anfertigen von Notizen überfordert sind (auch Bui, Myerson, 2014). Dies kann besonders leicht bei Studierenden passieren, deren Deutschkenntnisse noch nicht sehr gut sind.

In einer 2005 veröffentlichten Metaanalyse (von 57 Studien über den Effekt des Anfertigens von Notizen) fand Kobayashi (Kobayashi, 2005), dass das Anfertigen von Notizen noch größere Effekte zeigt, wenn Studierende im Vorfeld ein Training dazu durchlaufen, Notizen-Vorlagen nutzen oder eine Anleitung durch die Lehrenden erhalten.

Für Lehrende bedeutet dies folgendes:

  • Je mehr Informationen in einer bestimmten Zeit präsentiert werden, desto mehr Zeit sollten Sie Studierenden geben, um sich dazu Notizen zu machen oder um bestehende Folien mit Notizen zu ergänzen.
  • Je komplizierter die Informationen, also je schwerer sie zu verstehen sind, desto mehr Zeit benötigen die Studierenden zum Verarbeiten. Geben Sie Denkpausen oder aktivierende Aufgaben . (Anderson, Armbruster & Beranek, 1986).

Notizen, um später darauf zurück greifen zu können

Ein weiterer großer Vorteil von Notizen in Lehrveranstaltungen ist, dass sie die gesprochene Information in eine „haltbarere“ Form überführen. So ermöglichen Notizen die Nachbereitung des Gehörten. Die meisten Studien belegen, dass Versuchspersonen mit Notizen, die sie auch nochmals sichten konnten, deutlich besser abschneiden, als jene, die keine Notizen angefertigt und dementsprechend auch keine gesichtet haben.

Je besser die Studierenden die Wichtigkeit der Informationen einordnen und ihre Notizen danach strukturieren und anfertigen können, umso nützlicher sind ihnen die Notizen.

(Anderson, Armbruster & Beranek, 1986)

  1. Präsentieren Sie die Informationen in einer dem Stoff angemessenen Geschwindigkeit. Wichtige Inhalte müssen hervorgehoben werden.
  2. Die Prüfung muss valide und reliabel gestaltet sein; es sollten demnach nur Inhalte geprüft werden, die im Sinne der Lernziele wichtig sind. Geben Sie diese Informationen auch den Studierenden, sodass diese wissen, wie sie passende Notizen anfertigen und damit lernen können.
  3. Ermutigen Sie ihre Studierenden Notizen anzufertigen, die die nötige Verarbeitungstiefe haben und geben Sie ihnen Zeit die Informationen zu durchdenken. Bei schwierigen und/oder neuen Themen benötigen Studierende mehr Zeit. Ermuntern Sie die Lernenden auch, ihre Notizen nochmals zum Wiederholen zu nutzen.
  4. Um Ihren Vorlesungsstil zu verbessern, kann es hilfreich sein, die Notizen von Studierenden einzusammeln. Dies kann Ihnen helfen, festzustellen, was bei den Studierenden angekommen ist. Außerdem können Sie so Studierende identifizieren, die mehr Unterstützung brauchen könnten. Dies muss den Studierenden natürlich vorher ankündigt und erklärt werden.
  5. Sorgen Sie ggf. für die Implementierung von kurzen Trainingseinheiten für das sinnvolle Anfertigen von Notizen. In einigen Fachbereichen besuchen die Studierenden zu Beginn ihres Studiums z.B. eine Einführung in Lern- und Arbeitsstrategien. Hier könnte das Thema integriert werden.

(in Anlehnung an Anderson, Armbruster & Beranek, 1986)

  1. Machen Sie sich lieber mehr als wenige Notizen – solange dies nicht mit Zuhören und Verstehen in Konflikt gerät, denn es hat sich in Untersuchungen gezeigt, dass vollständigere Notizen zu besseren Prüfungsergebnissen führen.
  2. Wenn Sie beim Anfertigen der Notizen nicht mehr mitkommen – notieren Sie sich den Namen des Konzeptes und schlagen Sie es nach der Vorlesung nach.
Abbildung 1. Vorlage für Notizen in Anlehnung an Metzger (2013)
Abbildung 1. Vorlage für Notizen in Anlehnung an Metzger (2013)
  • 3. Machen Sie sich Notizen, die Ihnen später das Verstehen erleichtern. Bereiten Sie die Notizen nach, indem sie unbekannte Wörter oder Konzepte nachschlagen und Schwieriges nochmals versuchen zu verstehen. Es kann auch helfen, sich selbst Fragen zu den Inhalten zu stellen. Nutzen Sie Ihre Notizen zur Wiederholung und Klausurvorbereitung.
  • 4. Finden Sie so viel wie möglich über die Prüfung heraus und richten Sie Ihre Notizen daran aus.
  • 5. Nutzen Sie beim Lernen für die Prüfung eine Technik, die an die Prüfungsform angepasst ist. Wird ein multiple-choice Test genutzt, ist es wahrscheinlich nützlich, sich abfragen zu lassen. Bei einem Test in Essayform, kann es hilfreich sein, die Notizen um zentrale Themen zu organisieren (z.B. in Form eines Mindmaps) und die zentralen Ideen jemand anderem zu erklären.
  • 6. Notizenvorlagen können Ihnen helfen gut strukturierte und sinnvolle Notizen anzufertigen. Ein Beispiel finden Sie in Abbildung 1. Eine weitere Möglichkeit ist das Ausdrucken der Vorlesungsfolien, um diese zum Anfertigen der Notizen zu nutzen. Dies ist aber nur sinnvoll, wenn Sie die Ausdrucke so gestalten können, dass genügend Platz für Ihre Notizen bleibt.

Anderson, T. H., Armbruster, B. B., & Beranek, B. (1986). The value of taking notes during lectures.

Bui, D. C., & Myerson, J. (2014). The role of working memory abilities in lecture note-taking. Learning and Individual Differences, 33, 12-22.

Kiewra, K. A. (1987). Notetaking and review: The research and its implications. Instructional Science, 16(3), 233-249.

Kiewra, K. A., DuBois, N. F., Christian, D., McShane, A., Meyerhoffer, M., & Roskelley, D. (1991). Note-taking functions and techniques. Journal of Educational Psychology, 83(2), 240.

Kobayashi, K. (2005). What limits the encoding eVect of note-taking? A meta-analytic examination.

Lahtinen, V., Lonka, K., & Lindblom‐Ylänne, S. (1997). Spontaneous study strategies and the quality of knowledge construction. British Journal of Educational Psychology, 67(1), 13-24.

Metzger, C. (2013). Lern-und Arbeitsstrategien. Ein Fachbuch für Studierende: WLI-Hochschule.

Staub, F. (2006). Notizenmachen: Funktionen, Formen und Werkzeugcharakter von Notizen in Mandl, H., & Friedrich, H. F. (Hrsg.). Handbuch Lernstrategien. Hogrefe Verlag.

Steiner, G. (2006). Lernen und Wissenserwerb in Weidenmann, B., & Krapp, A. (Hrsg.). Pädagogische Psychologie. Beltz.