Maßnahmen für mehr Anwesenheit von Studierenden

26.07.2023

Anwesenheit von Studierenden in Lehrveranstaltungen steht in engem Zusammenhang mit guten akademischen Leistungen.

Das hochschuldidaktische Problem und mögliche Ursachen

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass das Fernbleiben von Lehrveranstaltungen statistisch mit einer schwachen Lernleistung der fehlenden Studierenden einhergeht (z. B. Credé et al., 2010; Schulmeister, 2015, 2020). In einer Metaanalyse an Collegestudierenden fanden Credé et al. (2010) Korrelationen mittlerer Höhe (p=.44) für den Zusammenhang zwischen der Abwesenheit und den Noten in den vom Fernbleiben betroffenen Kursen. Ebenso stellten sie auch mittelhohe Korrelationen für den Zusammenhang zwischen der Abwesenheit und dem generellen Notendurchschnitt (p=.41) fest. Die Autor*innen schlussfolgern hieraus: „These relationships make class attendance a better predictor of college grades than any other known predictor of academic performance” (S. 272). Eine jüngere Metaanalyse zu relevanten Einflussfaktoren auf die Lernleistung von Studierenden (Schneider & Preckel, 2017) untermauert diese Befunde: In der Analysekategorie „Strategien des selbstregulierten Lernens und Herangehensweisen an das Lernen“, die das Studierverhalten abbildet, finden sie keinen anderen stärkeren Erklärungsfaktor als die Häufigkeit des Veranstaltungsbesuchs (Effektstärke: d=.98).

Diese Untersuchungen legen die Relevanz des Veranstaltungsbesuchs als wichtige Grundbedingung für ein erfolgreiches Studium nahe. Allerdings lassen sie die Frage nach der Wirkrichtung, die den korrelativen Befunden zugrunde liegt, offen. Auf Basis der Untersuchungsergebnisse kann also keine Aussage darüber getroffen werden, ob das Fernbleiben von der Lehrveranstaltung durch das Verpassen der Lerngelegenheit schlechtere Resultate bewirkt oder ob umgekehrt Faktoren wie mangelnde Motivation oder Hilflosigkeit das Fehlen nach sich ziehen (Schulmeister, 2015, 2020). Aus theoretischer Sicht ist auch eine Kombination oder wechselseitige Beeinflussung beider Wirkrichtungen denkbar.

Über die Beeinträchtigung der Lernleistung der Studierenden hinaus hat das Fehlen von Lernenden weitere ungünstige Effekte, die unter anderem die Lehrorganisation (wie soll bei schwankender Teilnehmendenzahl geplant werden?), die Lerngruppe (wie soll ein „Wir“-Gefühl entstehen, wenn man nicht weiß, wer alles Teil der Gruppe ist?) und das Lernklima (wie verbindlich und wertschätzend sind wir im Umgang miteinander?) betreffen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen stören sich viele Lehrende daran, wenn ihre Studierenden nicht regelmäßig an ihren Veranstaltungen teilnehmen.

Wie häufig tritt das Problem auf und was sind mögliche Ursachen

Tabelle 1: Befragungen zu Motiven für Abwesenheit von Lehrveranstaltungen (Schulmeister, 2015)
Tabelle 1: Befragungen zu Motiven für Abwesenheit von Lehrveranstaltungen (Schulmeister, 2015)

In einem Literaturreview, das insgesamt 298 internationalen Studien umfasst, resümiert Schulmeister (2015), dass die Abwesenheitsquoten zwischen 38% und 95% betragen. Im Durchschnitt könne man davon ausgehen, dass circa 25% der Studierenden innerhalb eines Semesters mindestens einmal (oder auch häufiger) fehlen würden. Allerdings schwanken die angegebenen Werte in Bachelorstudiengängen zwischen Studienfächern und Lehrveranstaltungen unterschiedlich stark. Die detaillierten Ergebnisse können bei Interesse in Schulmeister und Metzger (2018) hier online abgerufen werden (wird in neuem Tab geöffnet). Zudem lassen sich hinsichtlich der Häufigkeit des Fernbleibens verschiedene Gruppen von Studierenden unterscheiden. Besorgnis erregen insbesondere Studierende, die wiederholt und häufig fehlen.

Als Ursachen des Fernbleibens werden verschiedene Wirkfaktoren diskutiert. Einem Literaturreview (Moores, Birdi & Higson, 2019) zufolge werden oftmals Lehrprobleme (teaching issues) angeführt, gefolgt von Auswirkungen von Erwartungen und Vorgaben der Universität (effects of university expectations and policy, z. B. Verpflichtung zur Anwesenheit, Vergabe von Noten für die Anwesenheit) und Schwierigkeiten bei der Lehrplanung (scheduling issues). Ferner wird überlegt, ob das Bereitstellen von Lernmaterialien über Online-Plattformen dazu führt, dass die Studierenden keinen (großen) Mehrwert im Veranstaltungsbesuch sehen. Darüber hinaus wird angenommen, dass auch durch Lehrende und Hochschule nicht beeinflussbare individuelle Faktoren (z. B. die finanzielle Situation, Jobben, demografische und psychologische Faktoren) von Bedeutung sind.

Empirische Befunde aus verschiedenen Studierendenbefragungen zu den Ursachen für Abwesenheit fasst Schulmeister (2015, siehe Tabelle) zusammen. Demzufolge werden insbesondere Krankheit und Schlafmangel häufig als Gründe für ein Fehlen angegeben. Die Einschätzungen des Autors hierzu sind jedoch recht studierendenkritisch, da er die unten abgebildeten Aussagen der Studierenden aus früheren Studien mit den Ergebnissen seiner eigenen semesterbegleitenden Zeitbudgetanalysen vergleicht. Er gibt an, dass Krankheiten „recht selten“ seien. Stattdessen sieht er das (durch Lehrende und Hochschulen nicht veränderbare) Persönlichkeitsmerkmal „Gewissenhaftigkeit“ als den zentralen Faktor an, der für Anwesenheit in Lehrveranstaltungen sorgt (Schulmeister, 2015, 2020).

Die bisher berichteten empirischen Ergebnisse gelten lediglich für die Präsenzlehre. Da seit Ausbruch der Corona-Pandemie auch virtuelle Lehrformate verstärkt an Hochschulen zum Einsatz kommen, ist von Bedeutung, inwieweit die Befunde auf (teilweise) virtuell konzipierte Lehre übertragbar sind. Berichte von Lehrenden zur Onlinelehre während der Pandemie sowie erste Publikationen vermitteln oftmals den Eindruck, dass die Teilnahmequoten während der Onlinelehre im Vergleich mit der vorigen Präsenzlehre abnahmen (Meeter et al., 2020). Eine besondere Herausforderung von Onlinelehre wird darin gesehen, dass es in dieser einfacher zu sein scheint zu fehlen bzw. Anwesenheit vorzutäuschen (Archambault et al., 2013). Ein Phänomen, über das sich Lehrende in diesem Zusammenhang besonders beklagen, ist das der „schwarzen Kacheln“ (z. B. in Lange, 2022). Hierbei lassen die Studierenden ihre Kameras ausgeschaltet und es ist für die anderen Beteiligten unklar, wer tatsächlich vor dem Rechner sitzt bzw. der Veranstaltung folgt.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Studierenden mitunter zu der Einschätzung kommen, dass sie aufgrund eines zusätzlichen Online-Angebots die Präsenzzeit reduzieren können. Schulmeister (2020) nennt dazu exemplarisch Untersuchungen zu Vorlesungen, von denen

Aufzeichnungen angefertigt und online zur Verfügung gestellt wurden. Er (Schulmeister, 2022) stellt fest, dass Studierende, die meinen, aufgrund der Videomaterialien nicht in die Veranstaltung kommen zu müssen, eine stärkere Tendenz zu einem ungünstigem Aufschiebeverhalten (Prokrastination) haben als ihre Kommiliton*innen.

Erste Ergebnisse zu Gründen der Abwesenheit in Onlineveranstaltungen aus Studierendensicht liefert eine jordanische Studie (Qutishat, Obeidallah & Qawasmeh, 2022), die in Pandemiezeiten an einem synchronen Online-Programmierkurs erfolgte. Es wurden in einer (qualitativen) Befragung der Studierenden fünf Cluster von Gründen identifiziert, die laut Aussage der Studierenden einen Einfluss auf die Anwesenheit und die aktive Teilnahme hatten:

  • Internet- bzw. Verbindungsprobleme
  • Kompatibilitätsprobleme mit Endgeräten und Software
  • ungeeignete Lernumgebung/Lernort
  • psychologische Hindernisse, z. B.: Motivation, Zeitmanagement, Gefühl der Isolation, mangelnde Kommunikation,
  • finanzielle Probleme

Obwohl anzuzweifeln ist, dass sich die Ergebnisse aus dieser einen Studie ohne weiteres auf die Situation in Deutschland übertragen lassen, und es sich nur um einen einzigen Kurs in einem einzigen Studienfach handelte, liefert diese Studie erste wertvolle Hinweise, denen in zukünftigen Untersuchungen weiter nachgegangen werden kann. Überdies weisen die Autor*innen (Qutishat, Obeidallah & Qawasmeh, 2022) auf zwei verschiedene Arten der „Abwesenheit“ hin: Im ersten Fall erscheinen Studierende gar nicht zur Veranstaltung. Im zweiten Fall sind sie zwar (physisch oder virtuell) präsent, aber dennoch geistig abwesend. Daher sollte generell bedacht werden, dass a) physische Präsenz nicht automatisch mit geistiger Anwesenheit und Aufnahmebereitschaft gleichzusetzen ist und b) diese unterschiedlichen Arten der „Abwesenheit“ gegebenenfalls mit unterschiedlichen Maßnahmen bearbeitet werden müssen. Dies sollte beim hochschuldidaktischen Umgang mit Abwesenheit beachtet werden.

Archambault, L., Kennedy, K., & Bender, S. (2013). Cyber truancy: Addressing issues of attendance in the digital age. Journal of Research on Technology in Education, 46(1), 1–28. https://doi.org/10.1080/15391523.2013.10782611

Credé, M., Roch, S. G., Kieszczynka, U. M. (2010). A meta-analytic review of the relationship of class attendance with grades and student characteristics. Review of Educational Research, 80, 272-295.

Lange, J. (2022). Hinter den (schwarzen) Kacheln Studierender: Zur Bedeutung von eingeschalteten Kameras in der Online-Lehre. In B. Standl (Hrsg.), Digitale Lehre nachhaltig gestalten (S. 50-60). Waxmann.

Meeter, M., Bele, T., Hartogh, C. d., Bakker, T., de Vries, R. E., & Plak, S. (2020, October 11). College students’ motivation and study results after COVID-19 stay-at-home orders. https://doi.org/10.31234/osf.io/kn6v9

Metzger, C. & Schulmeister, R. (2020). Zum Lernverhalten im Bachelorstudium. Zeitbudget-Analysen studentischer Workload im ZEITLast-Projekt. In D. Großmann, C. Engel, J. Junkermann & T. Wolbring (Hrsg.), Studentischer Workload. Definition, Messung und Einflüsse (S. 233–251). Springer.

Moores, E., Birdi, G. K. & Higson, H.E. (2019). Determinants of university students’ attendance. Educational Research, 61(4), 1-17.

Qutishat, D., Obeidallah, R., & Qawasmeh, Y. (2022). An Overview of Attendance and Participation in Online Class During the COVID Pandemic: A Case Study. International Journal of Interactive Mobile Technologies, 16(04), 103–115.

Schneider, M. & Preckel, F. (2017). Variables associated with achievement in higher education: A systematic review of meta-analyses. Psychological Bulletin, 143(6), 565–600.

Schulmeister, R. (2015). Abwesenheit von Lehrveranstaltungen. Ein nur scheinbar triviales Problem. Zugriff am 18.06.2022. Verfügbar unter: https://www.campus-innovation.de/fileadmin/dokumente/Schulmeister_Anwesenheit__Abwesenheit__2_.pdf (wird in neuem Tab geöffnet)

Schulmeister, R. (2020). Chancen und Grenzen einer Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen. Ein Studienreview zu Anwesenheit & Lernerfolg. In D. Großmann, C. Engel, J. Junkermann & T. Wolbring (Hrsg.), Studentischer Workload. Definition, Messung und Einflüsse (S. 253–270). Springer.Schulmeister, R. & Metzger, C. (2018). Das Studierverhalten im Bachelor. Zeitbudget-Analysen der Workload in 29 Bachelor-Stichproben. 2009-2018. Verfügbar unter http://rolf.schulmeister.com/pdfs/Workload%20und%20Studierverhalten.pdf (wird in neuem Tab geöffnet) [18.02.2023]