Umsetzung Forschenden Lernens

Welche didaktischen Möglichkeiten gibt es?

Forschendes Lernen (engl. research-based) meint in einem engen Verständnis, dass Studierende im Verlauf einer Lehrveranstaltung selbst forschen (engl. inquiry) und dabei den Forschungsprozess vollständig als Lernzyklus durchlaufen (siehe auch: Was ist Forschendes Lernen?). Dabei eignen sich Studierende neben Fachwissen auch forschungsbezogene, methodische und soziale Kompetenzen an (siehe auch: Lernen durch Forschendes Lernen).

Abbildung 5: Typischer Forschungszyklus (Wildt 2009: 5)

Lehrende können in ihren Lehrveranstaltungen Forschendes Lernen auch in begrenztem Umfang einsetzen, indem Studierende einige Teilschritte des Forschungsprozesses mitgestalten oder durchführen. Dabei sollte nur beachtet werden, dass – je nach Umfang der durchgeführten Schritte – der Kompetenzerwerb eher spezifisch bleibt.

Didaktisch gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten Forschendes Lernen in der Lehre methodisch zu integrieren. Bewährte Formate und Methoden sind z.B. die Folgenden (vgl. Huber et al. 2013: 26):

  1. Recherche und Essay
  2. Erkundungen: explorative Beobachtungen, Fallstudien, Vor-Teil-Studien
  3. Komplexere Laboraufgaben mit Offenheit der Ergebnisse
  4. Erprobung von Forschungsmethoden im „Kleinen“ (z. B. Lehrforschung)
  5. Durchführung/Beteiligung von (Teil-)Experimenten
  6. Untersuchung einzelner konkreter Problemfälle
  7. Plan- und andere Simulationsspiele zu Forschungszwecken
  8. Verbindung von Forschungsfragestellungen mit Exkursionen und Praktika
  9. Projektstudien, inkl. künstlerische und Theaterprojekte

Sie können auch selbst Konzepte entwickeln – passen Sie Ihre Vorhaben aber gegebenenfalls an fachspezifische Forschungsmöglichkeiten an.

Nebst fachspezifischen gibt es auch fachübergreifende Hinweise, die sinnvollerweise beachtet werden sollten, um Forschendes Lernen passend in Lehrveranstaltungen anwenden zu können.

Abbildung 6: Studienstufen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen (Tremp & Hildbrand 2012: 110)
Abbildung 6: Studienstufen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen (Tremp & Hildbrand 2012: 110)

Bei der Planung einer Lehrveranstaltung sollte im Hintergrund immer der Forschungszyklus mitgedacht werden. Bei einer veranstaltungsübergreifenden Planung ist es sogar denkbar, den gesamten Forschungszyklus in der Lehre mithilfe der verschiedenen Formate abzubilden (siehe Abbildung 6).

In der Praxis werden die meisten Lehrveranstaltungen nur einen Teil des Forschungszyklus berücksichtigen können. In jedem Fall ist es wichtig, den Forschungszyklus und die jeweils spezifischen Herausforderungen mitzudenken, um die Studierenden gezielt (und an den jeweiligen Forschungsschritt) angepasst unterstützen zu können. So könnte in einem Seminar, in dem die Entwicklung einer Fragestellung eine Rolle spielen soll, explizit Raum dafür geschaffen werden, sich auch darüber auszutauschen, woran man denn überhaupt festmacht, dass eine Fragestellung gut oder geeignet ist.

Forschung lebt auch davon, dass Annahmen getroffen und Ideen ausprobiert werden, die sich im zweiten Schritt als nicht umsetzbar erweisen und der ganze Erkenntnisprozess neu starten muss. Bisweilen können die zeitlichen Rahmenbedingungen von Lehrveranstaltungen diesem Charakteristikum von Forschung entgegenstehen, was Lehrende beachten müssen. Gerade Forschungs-Anfänger_innen wie Studierende brauchen, zudem für die Durchführung und die einzelnen Schritte eines auch noch so kleinen eigenen Forschungsprojekts (engl. „inquiry“) deutlich mehr Zeit als Lehrende in ihrer eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit. Lehrende sollten daher immer im Blick haben, dass das primäre Ziel des Forschenden Lehrens der Kompetenzgewinn der Studierenden sein sollte (und nicht das konkrete Forschungsresultat). Versuchen Sie möglichst realistisch abzuschätzen (bzw. im Laufe der Zeit Erfahrungen zu sammeln), wieviel Zeit Studierende für Forschungsaufgaben benötigen und richten Sie ihre Planung der Lehrveranstaltung danach aus.

Abbildung 7: Umsetzungsprobleme bei der Durchführung von Forschendem Lernen (Huber 2013: 247)
Abbildung 7: Umsetzungsprobleme bei der Durchführung von Forschendem Lernen (Huber 2013: 247)

Auch wenn in Deutschland noch keine empirischen Ergebnisse zur Wirksamkeit von Forschendem Lernen vorliegen, so existieren an einigen deutschen Hochschulen konkrete Erfahrungen in der Durchführung vom Forschenden Lernen (siehe dazu: Best-Practice Beispiele zu forschendem Lernen). Als häufige Umsetzungsprobleme werden z.B. Motivationsprobleme, die Organisation der Recherchen oder der angemessene Aufwand benannt (vgl. Abbildung 7).

Eine erste Hilfestellung können vor diesem Hintergrund die Erfahrungen an Hamburger Hochschulen geben. Hellmer (2009) hat hierzu mehrere konkrete Empfehlungen skizziert, was Lehrende bei der Umsetzung von Forschendem Lernen beachten sollten.

Geben Sie Raum für Projektideen und Entwicklung von Fragen

  • Ausreichend Zeit für Konzeption der Projekte einplanen
  • Phase der Fragestellungsfindung großzügig einplanen
  • Studierende bei der Realisierung derselben beraten
  • Inhaltliche Freiräume für studentische Entwicklungen geben, damit sie ihre eigenen Interessen einbringen können (Motivation)

Bieten Sie einen klaren Orientierungsrahmen

  • Klare Rahmung der Lernsituation, da allzu große Offenheit Überforderung für die Studierenden darstellt
  • Transparenz über Anforderungen und Verbindlichkeit geben überschaubare Zeiteinheiten für die jeweiligen Phasen einplanen

Machen Sie ein Methodentraining

  • Studierende vor der während der Veranstaltung mit Forschungsmethoden vertraut machen
  • Gegebenenfalls die Vermittlung von Forschungsmethoden in einem eigenen Seminar, um zeitliche Belastungen zu reduzieren
  • Eine curricular verankerte oder eigene Methodenveranstaltung voraussetzen

Begleiten und beraten Sie Studierende

  • Anteil der studentischen Eigenarbeiten soll grösser als Input der Lehrenden sein
  • Beratungssituation der gegenseitigen studentischen Beratung schaffen (fördert Reflexionsfähigkeit, soziale Kompetenzen)
  • Lehrperson: sich der Rolle als BeraterIn (stärker als WissensvermittlerIn) bewusst sein und diese ausfüllen

Machen Sie es realistisch

  • reale Praxis- bzw. Problemfelder erhöhen Motivation und Engagement
  • Theorie-Praxistransfer

Setzen Sie Tutor_innen mit eigener Forschungserfahrung ein

  • Tutor_innen stellen ein „Vorbild“ für die Studierenden dar
  • Der Einsatz von Tutor_innen senkt die Arbeitsbelastung von Lehrenden (Begleitung und Beratung von Studierenden) enorm
  • Sie können bei der Planung von einem Seminar mit dem Konzept des Forschenden Lehren und Lernens den Einsatz von Tutor_innen (auch finanziell) einplanen

Lehrende können im Rahmen ihrer Lehrveranstaltung – Vorlesung, Seminar, Labor, Übung, Exkursion, Praktikum, Tagung – einen Forschungsbezug dadurch herstellen, dass sie den Studierenden Aufgaben in Form von üblichen Forschungsprodukten stellen. Durch den Forschungsbezug werden die Studierenden motiviert; zugleich können z. B. auch folgende mögliche Leistungsnachweise erwartet werden, für die beispielhalft konkrete Aufgabenstellungen aufgeführt sind:

1 Thesenpapier

Am Ende der Vorlesung Ausgabe von folgender Aufgabe: „Bitte entwickeln Sie (allein, in Partnerarbeit oder in Kleingruppen-Arbeit) eine Fragestellung zum Thema der heutigen Lehrveranstaltung. Formulieren Sie eine konkrete und präzise Fragestellung; beachten Sie dabei die Operationalisierbarkeit der Fragestellung.“

2 Forschungsübersicht

„Bitte verfassen Sie eine Übersicht der Forschungslage zum Thema „XY“. Beenden Sie die Übersicht mit der Formulierung eines Forschungsdesiderates: Wo besteht bei diesem Thema eine Forschungslücke, wie genau kann die beschrieben werden und wie (d.h. mit welchen Forschungsmethoden oder –design) könnte diese Lücke geschlossen werden?“

3 Ergebnisbericht

„Bitte stellen Sie die zentralen Ergebnisse der dargestellten (oder vorliegenden) Forschung dar und bewerten Sie diese.“

4 Posterpräsentation

„Erstellen Sie (in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit) ein Poster mit den zentralen Ergebnissen des Seminarthemas (oder einschränkend: des Teilthemas „XY“). Heben Sie dabei das Wichtigste hervor und gestalten Sie dafür ein einseitiges Poster.“

5 Nach dem Besuch einer Tagung:

„Stellen Sie die zentrale Fragestellung der Tagung sowie die dazugehörigen Ergebnisse in Form eines Ergebnisberichts zusammen (max. xy Seiten). Ordnen Sie dabei die Ergebnisse in das Tagungsthema und –Fragestellung ein und bewerten Sie diese.“

6 Bei der Vermittlung von Forschungsmethoden:

Prinzipiell gilt: Vermittlung immer nur mit konkretem Bezug, da ansonsten, d. h. bei der „trockenen“, Thematisierung von Methoden, die Motivation und Aktivität der Studierenden rasch sinkt.

  • Sie können Am Ende der Lehrveranstaltung können Studierende selbst Forschungsfragen entwickeln und sich überlegen, mit welcher Forschungsmethode sie dieser nachgehen würden
  • Sie können Forschungsmethoden vermitteln und bei jeder Methode die Studierenden überlegen und diskutieren lassen: für welche(n) Forschungsfrage(n) eignet sich diese oder jene Methode (Arbeit in Arbeitsgruppen) und dies mit dem Hinweis auf ein bestimmtes Themengebiet erarbeiten lassen
  • Sie können zu Beginn aktuelle Forschungsfragen zu einem bestimmten Thema (aus dem Studiengang) sammeln lassen und die Studierenden beauftragen, in der Mitte / am Ende der Veranstaltung kritisch und nachvollziehbar zu überlegen, für welche Forschungsfrage welche Methode/n geeignet wäre/n.

Huber, L. (2013): Die weitere Entwicklung des Forschenden Lernens. Interessante Versuche – dringliche Aufgabe, in: Huber, L., Kröger, M., Schelhowe, H. (Hrsg.): Forschendes Lernen als Profilmerkmal einer Universität. Beispiele aus der Universität Bremen. S. 26–28. Bielefeld: Universitätsverlag Webler.

Schneider, R., Wildt, J. (2009): Forschendes Lernen und Kompetenzentwicklung. In: Huber, L., Hellmer, J., Schneider, F. (Hrsg.): Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen, S. 53-68. Bielefeld: Universitätsverlag Webler.

Tremp, P., Hildbrand, T. (2012). Forschungsorientiertes Studium – universitäre Lehre: Das «Zürcher Framework» zur Verknüpfung von Lehre und Forschung. In Brinker, T., Tremp, P. (Hrsg.): Einführung in die Studiengangentwicklung. (= Blickpunkt Hochschuldidaktik 122). S. 101-116. Bielefeld: Bertelsmann.

Wildt, J. (2009): Forschendes Lernen im Format der Forschung. In: HDZ TU Dortmund (Hrsg.): journal hochschuldidaktik. Forschendes lernen: perspektiven eines konzepts, S. 4-7. Dortmund.