Didaktischen Möglichkeiten

Welche didaktischen Möglichkeiten gibt es bei der schreibintensiven Lehre?

Schreibintensive Lehre lässt sich vielfältig gestalten. Lehrende können das tun, indem sie in ihre Präsenzlehre oder in die Phasen des Selbststudiums praktische Lese- oder Schreibaufgaben für die Studierenden integrieren. Im Folgenden werden Schritte in unterschiedlicher Reichweite (kleine, mittlere, große Schritte) anhand von Beispielen skizziert.

Übungen und Aufgaben für die Präsenzlehre (Vorlesung, Seminar, Übung)

An den folgenden beiden Beispielen vom „Lesen zum Schreiben“ setzen sich Studierende mit den Aussagen eines zentralen Fachtextes lesend auseinander. Diese Übungen können einzeln (Bsp. 1) oder aufeinander aufbauend kombiniert werden (Bsp. 1 und Bsp. 2).

Beispiel 1

Studierende erhalten die Aufgabe, zentrale Aussagen eines wichtigen – und je nach Lernstand komplexen – Fachtextes oder eines Textausschnittes herauszufinden und korrekt (Paraphrasierung) darzustellen. Insbesondere für zentrale Texte des Faches, bei denen den Lehrenden das durchdringende Verständnis der Studierenden wichtig ist, bietet sich die Übung „Aus Alt mach neu. Vom Lesen zum Schreiben wissenschaftlicher Texte (vgl. Kruse, O./Ruhmann, B. (1999) an.

Beispiel 2

Studierende kommentieren (einzeln oder in Kleingruppen) anschliessend an Beispiel 1 in einem wissenschaftlichen Stil (Arbeitsphase). Im Plenum werden die unterschiedlichen Ergebnisse vorgestellt und diskutiert und gemeinsame herausgearbeitet, was „eine richtige wissenschaftliche Formulierung“ ist.

Am Beispiel „Textsorten erkennen und selbst produzieren“ erlernen die Studierenden die Charakteristika von verschiedenen Textsorten des jeweiligen Faches: Im Rahmen der Präsenzlehre wird mit typischen Fachtexten des jeweiligen Faches gearbeitet (z. B. Journalpaper in den Naturwissenschaften, Zeitschriftenbeiträge in einer sozialwissenschaftlichen Reihe). Diese müssen von Studierenden während des Semesters gelesen, verstanden und verarbeitet werden. Dies lässt sich darüber hinaus sehr gut und weiter für eine Reflexion über Textsorten des jeweiligen Fachgebietes nutzen.

Beispiel

Studierende haben die Aufgabe, sich zentrale Wissensgebiete des Faches zu einem spezifischen Thema durch die Lektüre von Fachtexten selbst anzueignen. Lehrende geben zunächst im ersten Teil der Veranstaltung einen Überblick über die vorhandenen und zu lesenden Texte, verweisen auf zentrale Text-Quellen und moderieren den gesamten Lernprozess. Zum Schluss geben sie Rückmeldung zu den von den Studierenden selbst erzeugten Texten. Studierende haben im Einzelnen entweder in der Präsenzlehre oder während des Selbststudiums die Aufgabe, in Einzelarbeit oder in Kleingruppe typische Fachtexte zu lesen. Diese werden vorher verteilt und Gruppen gebildet. In der nächsten Stunde werden zunächst die zentralen Aussagen der Fachtexte zusammen getragen und diskutiert. Im Anschluss an die fachlichen Diskussionen erfolgt im Plenum ein Austausch darüber, was das Spezifische der jeweiligen Textsorte ist und die Charakteristika der verschiedenen Texte, welche parallel gelesen werden, werden gemeinsam im Plenum herausgearbeitet. Ein Leistungsnachweis könnte z. B. darin bestehen, dass Studierende (in Einzelarbeit oder in Kleingruppenarbeit) auf der Basis der herausgearbeiteten Merkmale einen eigenen Fachtext zu einem spezifischen Unterthema der Lehrveranstaltung verfassen.

Gerade wenn die Studierenden in absehbarer Zeit ihre erste wissenschaftliche Arbeit (sei es eine Hausarbeit oder eine Qualifikationsarbeit für den B.A. oder M.A.-Abschluss) abgeben müssen, bietet es sich an, im Rahmen einer Präsenzveranstaltung (Seminar, Übung, Kolloquium) schreibintensiv zu lehren. Die Planung und Durchführung der Lehrveranstaltung wird mit dem Schreibprozess dabei abgeglichen . Dabei ist es wichtig, auch für die Präsenzphasen Schreibzeiten bzw. Zeiten für Feedback und Rückmeldung durch die Lehrperson und/oder durch Peers zu den Texten einzuplanen. Bei dieser Art von schreibintensiver Lehre werden Fragen und Probleme rund um das wissenschaftliche Schreiben stärker an die Oberfläche kommen als bei den zuvor skizzierten kleinen und mittleren Schritten. Zugleich regt der durch die Lehre begleitete Schreibprozess eine intensive Auseinandersetzung mit den fachlichen Inhalten an. Für Beides gilt es Raum in der Lehre einzuplanen.

Beispiel

Lehrende planen ihre Lehrveranstaltung (hier bietet sich ausschließlich im Format des Seminars, nicht einer Vorlesung oder Übung an) von Anfang bis Ende entlang der Schritte des Prozesses des wissenschaftlichen Schreibens . Dabei wird die Lehrveranstaltung in in vier zentrale Abschnitte (Vorbereiten – Schreiben – Überarbeiten – Korrigieren) strukturiert. Zwei Grobziele der Lehrveranstaltung können hier benannt werden:

  • Studierende erwerben schreibend das Fachwissen der Lehrveranstaltung vertieft und setzen sich mit den fachlichen Inhalten kritisch auseinander.
  • Studierende lernen die Prozesse und Schritte des wissenschaftlichen Schreibens in der eigenen Anwendung kennen und erfahren sich beim wissenschaftlichen Schreiben und setzen sich mit den Schritten des Schreibprozesses auseinander.
01. Sitzung Einführen in Thema und Arbeitsweise, Lernziele und Leistungsnachweise, Kriterien von wissenschaftlichen Texten.
02.-04. Sitzung Phase „Das Schreiben vorbereiten“: Lehrende führen inhaltlich in das Thema ein, verweisen auf zentrale Literatur hierzu. Aufgabe in und zwischen den Sitzungen für die Studierenden: Studierende lesen einzelne Fachtexte, paraphrasieren diese im Selbststudium (einzeln oder in Kleingruppen) und bringen die Ergebnisse in die nächste Lehrveranstaltung mit. Dort wird dies von den Studierenden arbeitsteilig zusammengetragen. Dies wird eine intensive fachliche Diskussion auslösen – über die Inhalte, aber auch über das wissenschaftliche Schreiben. Lehrende erkennen hierbei, ob bzw. wie tief das erworbene Wissen von den Studierenden verstanden wurde.
05. Sitzung Phase „Schreiben vorbereiten“: Studierende erhalten die Aufgabe, eine Fragestellung zum gesamten Veranstaltungsthema oder zu einem Unterthema zu entwickeln und dazu vorhandene und ggf. weitere Literatur zu sichten. Am Ende dieses Abschnittes muss jeder Studierende ein einfaches Exposé oder Essay (Fragestellung, Einbettung, Forschungsdesiderate, eigenes Interesse, Methodisches Vorgehen, erwartete Ergebnisse) vorlegen. Dies kann Teil des Leistungsnachweises sein (5. Sitzung – 9. Sitzung)
06.-08. Sitzung Phase: „Schreiben“: Studierende schreiben in der Lehrveranstaltung und zwischen den Lehrveranstaltungen; die Lehrperson oder auch Studierende referieren zentrale Inhalte des Seminarthemas.
09. Sitzung Phase „Überarbeiten“: Studierende legen sich ihre Schreibentwürfe gegenseitig vor. Diese werden von Peers (KommilitonInnen) gegen gelesen und konstruktiv rückgemeldet. Dazu erläutern Lehrende vorab die Regeln eines konstruktiven Feedbacks.
09.-11. Sitzung Selbststudium: Studierende überarbeiten ihre Textentwürfe nach den Feedbacks der Peers. Unklarheiten zum Schreiben wie aufgetauchte Fragen zum Inhalt werden in der Lehrveranstaltung mit der Lehrperson und am besten öffentlich für alle (da alle Studierende durch die Fragen Einzelner lernen) besprochen.
12.-13. Sitzung Phase „Korrigieren“: Inhaltliche Diskussion zentraler Themen sowie Hinweise (oder Verweise) der Lehrperson zu wissenschaftlichen Schreibstilen, Regeln und Zitationen. Die Studierenden korrigieren in der Selbststudienphase daraufhin ihre Texte.
14. Sitzung Paperslam: Studierende stellen ihre Texte vor (z.B. selbst lesend oder Ausstellung der Papers) oder als Speedreading. Sie erhalten ein kurzes Feedback von den Peers wie von der Lehrperson.
15. Sitzung Auswertung der Sitzung: Lernziele erreicht (Inhaltlich, wiss. Schreiben),
Verbesserungspotenziale, Leistungsnachweise etc.
Dieses letzte Beispiel ist ein konkreter Vorschlag für ein schreibintensives Seminar in der Fachlehre. Was ein „schreibintensives Seminar“ bedeutet, beschreibt Kruse wie folgt: „Schreibintensives Seminar: Es stellt eine Art Kreuzung zwischen Schreibkurs und Seminar dar. Es ist, wie jedes Seminar, themenorientiert, bietet zunächst eine Einführung ins Thema, ehe es dabei hilft, eine Seminararbeit in einzelnen Schritten herzustellen. Die Teilnehmenden erarbeiten sich ein Thema wie in jedem Seminar, erhalten aber besondere Unterstützung dabei, die Schritte der Textherstellung bewusst zu leisten. Sie können sich mit Themeneingrenzung, Umgang mit Quellen, Zitieren, Gliedern, Überarbeiten, Wissenschaftssprache, Beurteilungskriterien usw. auseinandersetzen. Für den Schritt vom Seminar zum schreibintensiven Seminar ist es wichtig, dass die Teilnehmenden Zwischentexte abgeben, für die sie Feedback erhalten, ehe sie ihre Arbeit finalisieren. Sowohl die Seminararbeit als auch das Portfolio können für diesen Veranstaltungstypus als Genre eingesetzt werden. Es ist darüber hinaus genug Zeit für individuelle Beratung einzurechnen, damit die Teilnehmenden ihre Pläne, Entwürfe und erste Produkte besprechen können. (Universität Zürich, Hochschuldidaktik (2012): 16, verfasst von Kruse).