Prävention und Intervention: Handlungsmöglichkeiten für Lehrende im Umgang mit Sexismus

Es gibt mehrere Ansatzpunkte, um für die Thematik innerhalb der Lehre (und im Arbeitsalltag) zu sensibilisieren. In der didaktischen Planung, Durchführung und Reflexion der eigenen Lehre können die Themen kritisch mitgedacht werden, um präventiv eine klare Grundhaltung und diskriminierungssensible Kommunikationskultur zu entwickeln, auf die auch in akuten Situationen zurückgegriffen werden kann. Außerdem ist es möglich (und auch notwendig) an direkten Situationen Handlungsoptionen und weiterführende Möglichkeiten aufzuzeigen. Diese Ansätze werden in diesem Abschnitt erläutert. Außerdem finden Sie hier einen Podcast zu dem Thema, der bei einem Didaktiklunch im Februar 2020 entstanden ist:

Zum Podcast… (53 Minuten)

Wie kann Ihre Lehre gestaltet werden, sodass sexistische Situationen verringert werden? Und wie kann eine Kommunikationskultur in der eigenen Lehre geschaffen werden, die einen Umgang und ein Sprechen über diese Thematik ermöglicht? Denn ein Tabuisieren genau wie ein Stigmatisieren führt dazu, dass kein Austausch mehr möglich ist. Dies gilt es zu verhindern und eine offene Kommunikation und einen Aushandlungsprozess anzuregen.

Die Anregungen sind unterteilt in die Phasen: Planung, Durchführung und Reflexion der eigenen Lehre.

  • Die eigene Lehre kritisch betrachten, in Bezug auf Themenauswahl, Gestaltung der Präsentationen, Formulierung der Arbeitsaufträge, Methodenwahl und sich die Frage stellen: Gibt es hier Aspekte die problematisch sein könnten? Hilfreich ist es auch die Perspektive der Studierenden einzunehmen
  • Material kritisch untersuchen z.B. mit dem Fokus auf stereotype Zuschreibungen.
  • Verwendete Sprache (in Texten, Arbeitsblättern, Präsentationen) und Darstellungen auf problematische Formulierungen, Aussagen und Bilder überprüfen
  • Vielfältige Feedbackmethoden in die Lehre einplanen, nicht nur am Ende einer Veranstaltung. Feedback ermöglicht es auch auf unbewusste Verhaltensweisen in der eigenen Lehre aufmerksam zu werden. Wenn regelmäßig Feedback eingeholt wird ist eine Entwicklung schon innerhalb des Seminarverlaufs möglich und Änderungsvorschläge können unmittelbar erprobt werden.
  • Gesprächskultur ermöglichen in der „Fehlerfreundlichkeit“ praktiziert wird
  • Verhaltensregeln/ Gruppenregeln gemeinsam erarbeiten (auf diese kann, bei grenzüberschreitendem Verhalten, immer wieder verwiesen werden)
  • Offene Kommunikation über alle Themen, auch gegenüber problematischen Aussagen, um weiterhin über diese sprechen zu können
  • Sich Zeit nehmen, um über die Problematik (von Äußerungen, Handlungen) zu sprechen und auch die Anregungen der Gruppe mit in die Diskussion aufnehmen
  • Problematisches Verhalten, sexistische Äußerungen erkennen und ansprechen
  • Opfer schützen sowie kein Täterbashing zulassen. Wenn die offene Kommunikation und Fehlerfreundlichkeit ernst genommen wird, ist es wichtig nicht zu verurteilen oder gar auszuschließen, sondern Möglichkeiten einer Weiterentwicklung anzuregen
  • Persönliches Empfinden aller Beteiligten ernst nehmen
  • Sexismus zum Thema machen, inhaltlich dazu arbeiten, z.B. mit den Studierenden gemeinsam, die eigene Fachkultur kritisch reflektieren
  • Mit Studierenden über Sexismus und sexuelle Grenzüberschreitung sprechen
  • Anregungen der Studierenden einholen, wie sie sich eine Bearbeitung des Themas vorstellen könnten

Mit (anonymen) Feedbackmethoden arbeiten und konkrete Fragen zum Thema sexualisierte Diskriminierung in der eigenen Lehrveranstaltung stellen / Offene Antwortfelder einbauen, um Anregungen zur Weiterentwicklung der eigenen Lehre zu sammeln. Zum Beispiel über die Nutzung von Online tools. (Weiterführende Informationen in diesem Artikel: Moodle-Tool „Nachgefragt“

Folgende Beispielitems aus der Lehrveranstaltungsevaluation der TU Darmstadt dienen als Anregung:

  • Die Lehrperson behandelt alle Studierenden ungeachtet von Hautfarbe, Behinderung, Religion und Geschlecht respektvoll.
  • Die Lehrperson bezieht biografische Aspekte der Studierenden (z.B. Internationalität, Berufserfahrung, Geschlecht) in die Lehrveranstaltung ein. Anschließend können Beispiele in einer offenen Antwort genannt werden-
  • Das eingeholte Feedback auswerten und direkte Handlungsmöglichkeiten daraus ableiten
  • Genaues Analysieren der eigenen Lehre, einzelne Phasen der Lehre auf stereotype Vorurteile untersuchen, Diskussionsentwicklungen rekonstruieren, um Argumentationen zu identifizieren (dies hilft einerseits zu verstehen, andererseits auf zukünftige Diskussionen vorzubereiten)
  • Problematische Situationen reflektieren: Was hat dazu geführt? Wie wurde gehandelt? Wer hat gehandelt? Wie wurde reagiert? Hätte auch anders reagiert werden können?
  • Situationen in denen Unsicherheit herrschte, mit anderen Personen besprechen

Tipp: Ein Blick von außen kann helfen, „blinde Flecken“ in der eigenen Lehre zu finden. Z.B. eignen sich Hospitationen sehr gut, um Aspekte der Lehre aufzudecken, die einem selbst durch routiniertes Vorgehen nicht auffallen würden. Bitten Sie vertraute Kolleg_innen Ihr Seminar zu hospitieren.

Spannende online Fragebögen zur Reflexion in Bezug auf geschlechtergerechte Lehre finden Sie hier:

https://moodle.unifr.ch/mod/page/view.php?id=611299

Das Eingreifen in einer akuten Situation, in der sexistisches Verhalten wahrgenommen wird, kann sehr herausfordernd sein. Überforderung mit der Situation kann dazu führen, dass geschwiegen und nicht gehandelt wird. Sich mit der Problematik auseinander zu setzen und Handlungsoptionen zu kennen kann dabei helfen, dies zu überwinden.

  • Aufmerksam sein, aufmerksam machen = Ansprechen

    Hier ist es besonders wichtig situativ abzuwägen, welche Form sinnvoll ist. Ein Anprangern vor einer großen Gruppe, den Fokus auf die Situation und damit auf die Opfer zu bringen, kann auch schwierig sein! Wichtig ist es, die Opfer zu schützen und in Ihrem Sinne zu handeln.

    Wenn Sie merken, die betroffene Person sucht Unterstützung ist dies ein klares Zeichen, dass sie Stellung beziehen sollten. Wenn Sie wahrnehmen, dass sich die betroffene Person klein macht, keine Aufmerksamkeit aushalten kann, signalisiert sie, dass sie diese Situation nicht bearbeiten will. „Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen“, „Es ist mir unangenehm, das jetzt hier vor allen zu besprechen“ usw., sollten sie dieses Bedürfnis in jedem Fall respektieren!
  • Wenn direktes Eingreifen unangemessen erscheint, nehmen Sie im Anschluss an die Situation Kontakt zu den Beteiligten auf. Führen Sie ein Gespräch mit der betroffenen Person, leiten Sie diese an Beratungsstellen weiter und fragen Sie nach den Bedürfnissen der Person
    Sprechen Sie auch mit der_dem Täter_in, dass dieses Verhalten in Ihrer Veranstaltung nicht geduldet wird.
  • Direkt handeln! Vor allem in Situationen in denen sexistische Äußerungen allgemein getätigt werden und keine Einzelperson betroffen ist, z.B. in Plenumsdiskussionen, sollten Sie handeln und diese klar stellen.
    Sprechen Sie die Person an, die z.B. einen sexistischen Kommentar geäußert hat. Sagen Sie, dass dieser Kommentar unangebracht ist und erklären Sie die Gründe. (konkrete Beispiele weiter unten)
    Bleiben Sie auf der Ebene der Handlung, der Aussage, des Inhalts, verurteilen Sie nicht die Person als Sexist_in.
  • Nehmen Sie die Situation als Anlass für eine Arbeitsphase, z.B. um Gruppenregeln einzuführen, über Stereotype zu sprechen oder eigenes Verhalten zu reflektieren.
  • Wenn Sie solche Situationen erlebt haben und im Nachhinein unzufrieden sind, nicht direkt gehandelt zu haben, nehmen Sie Kontakt zu den Anlaufstellen der Universität auf. Dort werden Sie unterstützt, eine Handlungsstrategie für sich zu entwickeln, wie Sie weiter mit der Situation umgehen können.
  • Laut ansprechen, auch in Zweifelsfällen handeln! Wenn Sie übergriffiges Verhalten erkennen, unterstützen Sie die betroffene Person und beziehen Sie klar Stellung, indem Sie sich im Raum zu der Person bewegen, die_den Täter_in stoppen, ansprechen und auf Gesetze sowie Konsequenzen verweisen. Melden Sie den Fall im Anschluss an Beratungsstellen, Gleichstellungsbüro und oder auch der Polizei.

Als Beispiel für mögliche herausfordernde Situationen in der Lehre dient dieses Sensibilisierungsvideo der TU Darmstadt:

Warnung! In diesem Video wird übergriffiges Verhalten in universitären Räumen gezeigt. Wenn Sie diese Bilder nicht sehen möchten oder Sie nach dem Video feststellen, dass persönliche Erfahrungen wieder hochkommen, wenden Sie sich bitte an vertraute Personen und sprechen Sie darüber. Die Beratungsstellen der Universität sind für Sie erreichbar (siehe weitere Informationen):

Situation 1: Einer Studentin wird in der Vorlesung nachgepfiffen und sie wird ungefragt fotografiert

  • Zu Beginn des Semesters darauf hinweisen, dass alle Materialien online zugänglich sind und Fotografieren/ Filmen während der Veranstaltung nicht erlaubt ist.
  • Wenn das Fotografieren bemerkt wird, auf die Regeln verweisen und auf das Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild.
  • Situation dazu nutzen dieses Thema in der Veranstaltung zu besprechen (z.B. mit der Richtlinie der TU Darmstadt https://www.intern.tu-darmstadt.de/media/wegweiser_medien/media_achtung/achtung_dok/Richtlinie_final_webversion.pdf).
  • Je nach Einschätzung der Situation das Pfeifen ansprechen oder im Anschluss an die Veranstaltung das Gespräch suchen. Einerseits mit dem Studenten, um ihn klar darauf hinzuweisen, dass dieses Verhalten nicht geduldet wird und anderseits die Studentin ansprechen und fragen wie es ihr geht. Erklären, warum nicht direkt gehandelt wurde und nachfragen, welches Vorgehen für Sie hilfreich ist.

Situation 2: Ein Student fasst eine Studentin unaufgefordert an, um sich an ihr vorbei zu schieben

  • Zu Veranstaltungsbeginn Regeln für gemeinsamen, respektvollen Umgang aufstellen
  • Gespräche mit den Beteiligten führen, auf Konsequenzen verweisen, diese Handlung klar als sexuelle Belästigung und Grenzüberschreitung benennen und erklären, dass ein unaufgefordertes Berühren des Körpers übergriffig ist und nicht geduldet wird
  • Auf die Anlaufstellen der Uni hinweisen und selbst Beratungen in Anspruch nehmen, um für die Situation Lösungen zu entwickeln

Situation 3: Eine Tutorin berührt einen Studenten an Schulter und Rumpf und beugt sich über ihn.

In dieser Situation sind Sie als Lehrende nicht unbedingt anwesend, Sie könnten aber davon z.B. in einem Rückmeldegespräch erfahren, dies in einer Hospitation beobachten oder der Betroffene sucht Rat bei Ihnen, auch dann ist ein Handeln noch möglich:

  • Die Grundregel Keinen Körperkontakt zwischen Lehrenden und Lernenden einhalten und transparent mit allen Personen (Studierende, Tutor_innen, Kolleg_innen) kommunizieren
  • Das Gespräch mit Beteiligten suchen, getrennt voneinander
  • Situation über Rekonstruktion versuchen nachzuvollziehen und Lösungsstrategien mit den Beteiligten erarbeiten, z.B. Regeln für das Tutorium
  • Diese Situation den Anlaufstellen an der Universität melden
  • Unterstützung bei Anlaufstellen einholen

Sollte dieses Verhalten direkt benannt werden?
Ja, aber…

Situationen abwägen.

Problematisch bei dem Ansprechen von sexistischem Verhalten ist, dass sich daraus erfahrungsgemäß keine konstruktive Diskussion entwickelt, in der Lösungsansätze bedacht werden, sondern sich die Personen angegriffen fühlen und in eine Verteidigungshaltung treten.

Die darauffolgenden Diskussionen drehen sich meist darum, ob eine bestimmte Aussage nun „sexistisch ist oder nicht“ und daraus folgend, ob dieser Spruch „schlimm genug“ war, um Menschen zu diskriminieren usw.

Diese Diskussionen sind nicht zielführend! Wenn sie dennoch entstehen, sollte die Diskussion mit einer entsprechenden Ausgangsfrage geleitet werden. Diese Frage könnte z.B. die Ursachen, Mechanismen, Machtverhältnisse oder die (gesamtgesellschaftlichen) Strukturen in Bezug auf Sexismus in den Blick nehmen. (Zum Beispiel: „Lassen Sie uns die Ursachen dieses Problems ergründen. Woher kommt diese Annahme? Warum ist diese problematisch? Wo haben wir konkrte Möglichkeiten diesen Tendenzen entgegenzuwirken?“) Diese Auseinandersetzung kann dann dazu genutzt werden, dass ein positiver Umgang mit der Problematik angestrebt wird und Alternativen erarbeitet werden.

Auch wenn dies Anstrengung erfordert, sollten Sie widersprechen, wenn sexistische und abwertende Äußerungen im Seminar fallen, da diese, schwerwiegende Auswirkungen auf die Betroffenen haben können. Signalisieren Sie abgewerteten Personen Ihren Rückhalt.

Eine vorherige Auseinandersetzung mit möglichen Argumenten kann für solche Situationen stärkend sein.

Anregungen, um auf sexistische Äußerungen zu reagieren:

z.B. bei abwertenden Äußerungen:

- Ablehnung dieser Aussage gegenüber ausdrücken:

„Diese Aussage ist sexistisch, beleidigend und abwertend. Ich möchte nicht, dass im Rahmen meiner Lehrveranstaltungen Personen abgewertet werden.“

- das identifizierte Vorurteil benennen und persönliche Einstellung äußern:

„Das heißt also, dass Sie der Meinung sind, dass . .“

„Ist Ihnen bewusst, dass das sexistisch/ diskriminierend ist, was Sie da sagen?“

„Ich finde, das ist eine sehr problematische Aussage, da..“

„Wenn das ein Witz gewesen sein soll, war er aber nicht lustig, sondern diskriminierend.“

-Widerlegen

„Aus welcher Quelle genau haben Sie diese Informationen?“

„Ich sehe nicht, wo es da einen Zusammenhang gibt.“

„Dieser Zusammenhang leuchtet mir nicht ein. Können Sie das genauer erklären?“

(Quelle und weitere hilfreiche Anregungen (wird in neuem Tab geöffnet))

Als Lehrende_r sollten Sie eigene Aussagen überdenken, denn bestimmte Worte, Sprüche usw. sind vielleicht „nicht böse“ gemeint, normalisieren aber bestimmte Vorstellungen und verfestigen stereotype Bilder und Rollenklischees. Diese können ungewollte die Vorstellungen von bestimmten geschlechtlichen Rollen einengen und ein „anders“ sein zu einer nicht zu bewältigenden Herausforderung für Ihre Studierenden machen.

Ein weiteres Problem solcher Handlungen ist, dass „nicht böse gemeinte“ Aussagen dennoch für die betreffenden Personen verletzend sein können. Folgen können z.B. sein, dass Studierende sich nicht im Prozess beteiligen oder nicht mehr im Seminar erscheinen.

https://blog.e-learning.tu-darmstadt.de/2018/06/07/studierende-zum-inhaltlichen-nachfragen-motivieren/

https://moodle.unifr.ch/mod/page/view.php?id=611299

https://www.intern.tu-darmstadt.de/media/wegweiser_medien/media_achtung/achtung_dok/Richtlinie_final_webversion.pdf

https://www.uibk.ac.at/gleichbehandlung/service/leitfaden_antidiskriminierung_allg.pdf