Diversität als Ressource in kollaborativen Arbeitsformen

Internationale Studierende gut in Gruppenarbeiten zu integrieren ist wichtig, damit alle Studierenden miteinander Spaß haben und gute Ergebnisse erzielen.

Erfahren Sie hier mehr über Voraussetzungen internationaler Studierender und Maßnahmen, die Sie als Lehrende umsetzen können, damit Gruppenarbeiten erfolgreich laufen.

Chancen kollaborativer Lernformen

Als Ergebnis der Internationalisierung ist die Studierendenschaft der TU Darmstadt diverser denn je. Die Zahl der internationalen Studierenden, die ihr Hochschulstudium in Deutschland absolvieren oder fortsetzen, liegt an der TU Darmstadt universitätsweit bei knapp 20% (Stand: Wintersemester 2022/2023). Entsprechend können viele Lehrveranstaltungen als internationale Lernräume gesehen werden, in denen Studierende aus unterschiedlichen Herkunftsländern zusammenarbeiten. Auch Lehrende beschäftigen sich immer wieder mit der Vielfältigkeit ihrer Studierenden und möchten deren individuellen Voraussetzungen in der Lehre berücksichtigen.

Gruppenarbeit und Projektarbeit stellen als kollaborative Lernformen eine hervorragende Chance dar, einen bewussten Umgang mit Diversität zu schulen. Denn bringen Studierende unterschiedlicher Herkunft verschiedene Diversitätsmerkmale ein. Der Umgang mit diesen Merkmalen kann als „Interkulturelle Kompetenz“ beschrieben werden. Hierbei handelt es sich um die Fähigkeit, sich und seine eigene Sicht beiseitezustellen, andere Sichtweisen und Perspektiven anzuerkennen sowie bestehen zu lassen. Gruppenarbeiten bieten zudem den Vorteil fachübergreifende Kompetenzen zu fördern. Hierzu gehören Kommunikation, Konfliktlösung, Zeitmanagement und Teamarbeit. Mehr noch kann die Arbeit in einer Gruppe mit Personen unterschiedlicher Herkunft als Gelegenheit erkannt werden, Handlungskompetenzen im Umgang mit Diversität zu erweitern und als Vorbereitung auf eine international geprägte Arbeitswelt gesehen werden. Im speziellen können Gruppenarbeiten die Gelegenheit bieten, Deutsch-, Englisch- oder andere Sprachkenntnisse interaktiv zu verbessern, Selbstwirksamkeitserwartungen zu stärken und ein Gefühl von Zusammenhalt zu erleben (Klippel, 2015).

Was ist Selbstwirksamkeitserwartung?

Selbstwirksamkeitserwartung beschreibt die subjektive Überzeugung, herausfordernde Anforderungen und Situationen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können.

Was internationale Studierende außerhalb der Hochschule leisten

Internationale Studierende stellen eine heterogene Gruppe dar. Ihre Ausgangsbedingungen, Vorerfahrungen und individuellen Herausforderungen lassen sich kaum verallgemeinern. Lange Aufenthalte im Ausland sind aber auch positiv lebensverändernde Erfahrungen. Vor allem, wenn Bildungsprozesse angeregt werden und eine neue Sprache erworben wird. Auf diese Weise hat diese Erfahrung das Potenzial, das persönliche Wachstum voranzutreiben, die interkulturelle Flexibilität und die Selbstwirksamkeitserwartung stärken.

Was sind internationale Studierende?

Als internationale Studierende wird bezeichnet, wer eine nicht-deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, und die Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben hat. Die Zahl der internationalen Studierenden ist in den vergangenen Jahren weltweit massiv angestiegen, auch durch Migrations- und Fluchtbewegungen. Internationale Studierende gelten zunehmend als wichtiger Wirtschaftsfaktor für viele Hochschulen, und werden mit wachsendem Interesse beforscht.

Hohes Potential geht mit großen Herausforderungen einher. Der Erwerb eines Studienabschlusses in einer fremden Sprache, in einem fremden akademischen Milieu bringt ganz besondere Schwierigkeiten mit sich, die meist schon vor Ankunft beginnen. Hier wären Anerkennung der Abschlüsse, Anerkennung von Sprachkenntnissen sowie Sprachprüfungen, Visa und Wohnungssuche zu nennen. Aber auch nach dem Ankommen warten Herausforderungen, wie Finanzen, Wohnungssuche, behördliche Anforderungen und mehr. Oft berichten internationale Studierende zudem von einer erhöhten psychischen Belastung, bedingt durch schwierige Situationen im Herkunftsland (Khanal &Gaulee, 2019; Ecochard & Fotheringham, 2017). Statistiken deuten an, dass die Abbruchquote internationaler Studierender in Deutschland bis zu 15% höher liegt als bei Studierenden deren Schulabschluss in Deutschland absolviert wurde (DAAD, 2018).

Herausforderungen des Ankommens und Akkulturation

Abbildung 1: Beispiele akkulturativer Stressoren
Abbildung 1: Beispiele akkulturativer Stressoren

Zu überwindende Herausforderungen bedingen einen intensiven Lernprozess am Anfang eines Studiums im Ausland. Als Begriff für die Betrachtung und Überwindung dieses Prozesses wird die „Akkulturation“ herangezogen. Anfängliche Euphorie und Tatendrang verlaufen über eine Phase des „akkulturativen Stress“ und enden in einer Anpassung und einem angemessenen Umgang mit der neuen Situation.

In der Phase des akkulturativen Stress können Menschen in emotionale Schwierigkeiten geraten, die durch einen verlängerten Aufenthalt in einer fremden Kultur ausgelöst werden. Durch soziale Isolation und Desorientierung können Gefühle von Depression, Angstzustände und eine Erschütterung des Selbstbildes eintreten (Bai & Wang, 2022; Ecochard, 2017; Bai, 2016). Ein Faktor bei der Auslösung ebendieser Probleme sind Verständigungsprobleme bei Sprache, Ritualen, Normen und Werten. Der akkulturative Stress tritt als Resultat der Auseinandersetzung mit dem Prozess der Anpassung in einer neuen Kultur ein (Bai, 2016). Wie jede Form von dysfunktionalem Stress kann er das psychische Wohlbefinden einschränken oder zu ernsthafteren psychischen Problemen führen. Internationalen Studierenden wird ein erhöhtes Risiko zugeschrieben an psychischen Erkrankungen zu erkranken (Bai, 2016). Falls Studierende auf Sie zukommen sollten oder Sie eine Beobachtung machen, weisen Sie bitte an der TU Darmstadt auf die Psychotherapeutische Beratungsstelle (PBS) hin. Auch an anderen Hochschulen kann auf ähnliche Einrichtungen hingewiesen werden.

Dreifache Herausforderungen

„Wir machen die dreifache Arbeit“ berichtet eine Studentin aus Kolumbien in einem für die hochschuldidaktische Arbeitsstelle geführten Interview. Sie spricht an, was auch in der Forschung beschrieben wird: Ein Studium in einer fremden Sprache und in einer fremden Kultur bereitet Herausforderungen, die über ein herkömmliches Studium hinausgehen (Khanal & Gaulee, 2019; Ecochard & Fotheringham, 2017; Bai & Wang, 2022). Drei Bereiche werden identifiziert, bei denen internationale Studierende mit einem Mehraufwand an Arbeit konfrontiert werden (Ecochard & Fotheringham, 2017):

Dimension Herausforderungen
Individuelle Kommunikationsfähigkeit Fähigkeiten wie Zuhören, Perspektivübernahme und konstruktive Kritik wirken sich positiv auf den fachlichen Austausch innerhalb einer Gruppenarbeit aus. Kommunikative Kompetenz kann auch mittels Gruppenarbeit geschult werden.
Geeignete Gruppenzusammensetzung Förderlich ist einerseits ein freundschaftliches Lernklima. Andererseits kann eine gewisse Heterogenität beim Vorwissen der Teilnehmenden das Lernen begünstigen. Ist der Wissens- oder Kompetenzunterschied zwischen den Teilnehmenden aber zu groß, kann transaktive Kommunikation aber kaum zustande kommen.
Komplexe Aufgabenstellung Aufgaben sollten ausreichend komplex gestellt werden, um Diskussionen innerhalb der Gruppe anzuregen und eine Möglichkeit zum Entdecken von Synergien zwischen Teilnehmenden zu unterstützen.
Methodisch-didaktische Umsetzung Gruppenaufgaben sollten klar eingeteilt werden. Zudem gilt es sie so zu konzipieren, dass der individuelle Beitrag aller Gruppenmitglieder zur Lösung beiträgt. Zumindest bei längeren Gruppenarbeiten sollten Teilnehmende Verantwortlichkeit für einen Aufgabenbereich übernehmen müssen.
Soziokultur Ein Leben im Ausland muss organisiert werden. Internationale Studierende suchen in der Regel allein eine Wohnung und müssen die kulturellen Feinheiten im Umgang mit dem Gesundheitssystem, Amtsbesuchen und Nebenjobs verstehen lernen. Sowohl fehlende familiärere Strukturen als auch das Gefühl von Isolierung, außerhalb der vertrauten kulturellen Umgebung zu sein und in dieser Phase nur wenig bis keine Unterstützungsangebote zu kennen, empfinden viele als Belastung.
Sprache Auch wenn Studierende vor Studienbeginn über Deutschkenntnisse verfügen, reichen diese oft kaum aus, um die akademischen Anforderungen eines Studiums direkt zu bewältigen. Entsprechend verbringen viele internationale Studierende am Anfang des Studiums einige Zeit damit, ihre Sprachkenntnisse auf den notwendigen Stand zu bringen. Die fehlende Zeit wirkt sich negativ auf akademische Leistungen und Freiraum für soziale Aktivitäten aus.
Hochschule Neben soziokulturellen und sprachlichen Herausforderungen müssen sich internationale Studierende noch an eventuell neue akademische Kulturen, ein neues Bildungssystem und die darin angewendeten Regeln akkommodieren (Bai, 2016). Hierzu zählen beispielsweise Lehrmethoden und Prüfungsformen. Gute akademische Leistung erbringen zu müssen und damit verbunden ein hoher persönlicher oder familiärer Druck, beschreiben viele als einen weiteren Stressfaktor. Hinzu kommt oft die Desillusionierung am Anfang des Studiums, dass erbrachte Leistungen kaum eigenen Erwartungen entsprechen.

Diskriminierung und Rassismus

Als Lehrperson sollten Sie sich vergegenwärtigen, dass akademischer Erfolg von vielen Faktoren beeinflusst wird. Hier kann ein reflexiver Blick auf und sensibler Blick gegenüber Diskriminierungen helfen, ungleich verteilte Chancen, Möglichkeiten sowie Hürden zu sehen und reduzieren.

Der Begriff „Diskriminierung“ ist aufgrund seiner Komplexität schwer zu greifen. Hinzu kommt, dass sich unterschiedliche diskriminierende Dimensionen ineinander verzahnen können oder einander überlappen können und sich gegenseitig verstärken. Beispielsweise können Herkunft, Sprache und Geschlecht alle zu Diskriminierungsfaktoren werden, deren Interaktionen komplex und häufig unvorhersehbar sind (Amirpur, 2018).

Diskriminierende Handlungen, Texte oder Bilder sind in den seltensten Fällen bewusst gewählt worden. Die Reproduktion von Ungleichheit geschieht vielmehr unterbewusst. Hierbei spielen verinnerlichte Wissens- und Denkstrukturen eine Rolle, die sich nur schwerlich ablegen lassen (Banaji & Greenwald, 2015). Strukturen der Diskriminierung können demnach nur durch Thematisierung und bewusstes Gegensteuern unterbrochen und verändert werden. Schauen Sie hier nach Reflexionsfragen, um mit dieser Hilfe Ihre Lehre zu reflektieren.

Stellen Sie beispielsweise verallgemeinernde oder abschätzige Kommentare gegenüber Studierenden aufgrund der Herkunft oder des Sprachniveaus grundsätzlich in Frage. Grundsätzlich sollte niemand aufgrund von Herkunft diskriminiert oder Nachteilen ausgesetzt werden. Gehen Sie aktiv gegen Diskriminierungen vor: Schaffen Sie ein wachsendes Bewusstsein über Dynamiken der Diskriminierung, verknüpfen Sie das Handeln mit einer großzügigen Fehlerkultur und nehmen Sie die Erfahrungen Betroffener ernst. So können Strukturen neugestaltet oder modelliert werden. Praktische Ideen, wie Sie gegen Diskriminierung vorgehen können, finden Sie hier.

Hiller, G. G. und Vogler-Lipp, S. (Hg.): Schlüsselqualifikation Interkulturelle Kompetenz an Hochschulen. Grundlagen, Konzepte, Methoden. Wiesbaden 2010.

Hiller, G. G. (2011): Schlüsselqualifikation Interkulturelle Kompetenz – ein Bildungsauftrag der deutschen Hochschulen? In: Perspektiven interkultureller Kompetenz. DOI: 10.25656/01:11093. Online unter: https://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=11093.

Amirpur, Donja: „Zum Verhältnis von Diskriminierungsforschung, Intersektionalität und inklusiver Hochschuldidaktik.“ In: Andrea Platte et al. (Hg.) Praxishandbuch Inklusiver Hochschuldidaktik. Weinheim Basel, 2018. S. 65-71.

Bai, J.: “Perceived Support as a Predictor of Acculturative Stress among International Students in the United States”. In: Journal of International Students. Vol. 6, Issue 1, 2016, S. 93-106.

Bai, L. und Wang, Y.: “Combatting language and academic cultural shocks – International students’ agency in mobilizing their cultural capital”. In: Journal of Diversity in Higher Education. April, 2022.

Banaji, M. und Greenwald, A.: Vor-Urteile. Wie unser Verhalten unbewusst gesteuert wird und was wir dagegen tun können. München, 2015.

DAAD Blickpunkt: Studienerfolg und Studienabbruch bei Bildungsausländern in Deutschland. https://www2.daad.de/medien/der-daad/analysen-studien/blickpunkt-studienerfolg_und_studienabbruch_bei_bildungausl%C3%A4ndern.pdf. 2018. Letzter Abruf: 24.11.2022.

Do Mar Castro Varela, María (2010): “Interkulturelles Training? Eine Problematisierung.” In: Darowska, Lüttenberg und Machold (Hg.): Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität. Bielefeld, 2010.

Ecochard, S. und Fotheringham, J.: „International Students‘ Unique Challenges. Why Understanding International Transitions to Higher Education Matters.” In: Journal of Perspectives in Applied Academic Practice. Vol. 5, Issue 2, 2017, S. 100-108.

Hiller, G. G. und Vogler-Lipp, S. (Hg.): Schlüsselqualifikation Interkulturelle Kompetenz an Hochschulen. Grundlagen, Konzepte, Methoden. Wiesbaden 2010.

Khanal, J. und Gaulee, U.: “Challenges of International Students from Pre-Departure to Post-Study: A Literature Review”. In: Journal of International Students, Vol. 9, Issue 2, 2019.

Klippel, Johanna: “’Das war für mich das beste Lernmittel für Deutsch.‘ Voraussetzungen für den L2-Erwerb in universitären Gruppenarbeiten.“ In: Merkelbach, Chris (Hg.): Mehr Sprache(n) lernen – mehr Sprache(n) lehren. Aachen, 2015. S. 57-72.

Küchler, Uwe: Interkulturelle Hochschullehre. Internationalisierung am Beispiel der Amerikanistik. Berlin, 2007.

Lüsebrink, Hans-Jürgen: Interkulturelle Kommunikation. Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer. Stuttgart, 2016.

Panagiotopoulou, Julie A. et al: Inclusion, Education and Translanguaging. Köln, 2020.

Ngubia Kuria, E.: Eingeschrieben. Zeichen setzen gegen Rassismus an deutschen Hochschulen. Berlin, 2015.