Partnerdisziplinen finden

Welche Disziplinen passen zusammen?

Damit die Vorbereitung und Umsetzung eines Studienprojektes zwischen verschiedenen Disziplinen gelingt, ist es empfehlenswert,

  • dass die Disziplinen sich inhaltlich und methodisch ergänzen,
  • dass die Lehrenden einen didaktischen Konsens finden sowie kollegial auf Augenhöhe zusammenarbeiten und
  • dass sich ein Mindestmaß an struktureller Vereinbarkeit zwischen dem Studienbetrieb der Fächer herstellen lässt.

Disziplinen sind inhaltlich besonders gut zu kombinieren, wenn sie sich nicht zu ähnlich sind, aber dennoch gemeinsame Problemstellungen haben und sich in den fachlichen Arbeitsmethoden ergänzen.

Eine gemeinsame Problemstellung zwischen Natur- oder Ingenieurwissenschaften einerseits und Geistes-, Kultur-, Sozialwissenschaften andererseits lässt sich fast immer über die gesellschaftliche Dimension einer technischen oder naturwissenschaftlichen Problemstellung finden. Themenfelder sind beispielsweise die klassische Technikfolgenabschätzung, die Bestimmung von Zielgruppen und Entwicklung von öffentlichen Kommunikations- und Beteiligungsverfahren, der Entwurf regulatorischer Maßnahmen, ethische Bewertungen, die Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle und Überlegungen zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit. Die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) haben ohnehin viele Schnittstellen untereinander in der Lehre. Die Gesundheitswissenschaften und Medizin lassen sich sowohl mit sozialwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Aspekten wie im Bereich Public Health, als auch technischen und naturwissenschaftlichen Fächern kombinieren wie beispielsweise zu medizintechnischen Fragestellungen.

Zu große inhaltliche und methodische Schnittmengen zwischen Fächern, z. B. zwischen Architektur und Bauingenieurwissenschaften oder Biologie und Biochemie erfordern zunächst eine Abgrenzung der „Zuständigkeiten“, bevor eine gemeinsame Projektaufgabe entwickelt werden kann.

Damit die Kooperationspartner das anstehende interdisziplinäre Studienprojekt gemeinsam didaktisch gestalten können, sollten sie von Anfang an einen didaktischen Konsens und ein gemeinsames Verständnis von einem interdisziplinären Studienprojekt entwickeln.

Zunächst sollten die Partner offen ihre fachlichen, organisatorischen und sozialkommunikativen Lernziele thematisieren und eine Übereinkunft dazu herbeiführen, welches Gewicht die einzelnen Lernziele haben und welchen Kompetenzzuwachs sie sich bei den Studierenden erwarten. Dies ist die Voraussetzung, um gemeinsam passende Leistungsnachweise und Prüfungsformen festzulegen.

Für die Prüfung in interdisziplinären Studienprojekten empfiehlt es sich, sowohl summative als auch formative Bewertungsverfahren zu nutzen und den Aufbau von „harten“ fachlichen und „weichen“ sozialkommunikativen und personalen Kompetenzen mit unterschiedlichen Verfahren zu bewerten.

Eine gestufte Benotung sollte dem fachlichen Projektergebnis vorbehalten sein (summative Bewertung). Sie sollte auf klar definierten Leistungsnachweisen, Erfüllungsgraden und Bewertungskriterien beruhen. In interdisziplinären Studienprojekten kann es sinnvoll sein, die Lösungsqualität fachlich aufzuschlüsseln.

Damit die Benotung dem Prüfungsrecht genügt, das eine individuelle Prüfungsleistung erfordert, reicht eine reine Gruppenote nicht aus. Durch eine angemessene Betreuung des Studienprojekts kann zwar sichergestellt werden, dass alle Teammitglieder zum Projektergebnis beitragen. Die individuellen Beiträge sind am Endergebnis selbst aber nicht mehr ablesbar. Deshalb sollte zusätzlich zur Gruppennote immer auch eine individuelle Prüfungsleistung benotet werden. Beispiele für individuelle Prüfungsleistungen sind abgegrenzte Teile der Projektdokumentation, Präsentationen oder eine mündliche Einzelprüfung.

Zu den Leistungsnachweisen in einem interdisziplinären Projekt sollte auch die Offenlegung gehören, wie die beteiligten Disziplinen an den Gestaltungsentscheidungen für das Lösungskonzept beteiligt waren, z. B. eine textuelle oder grafische Beschreibung, welche Problemperspektiven adressiert wurden, welche Lösungsalternativen erwogen wurden und welche Lösung aufgrund welcher fachlichen Kriterien ausgewählt wurde.

Um den Aufbau von sozialkommunikativen Kompetenzen und den Arbeitsprozess zu beurteilen, haben sich Hospitationen durch die Lehrenden in den Teams zusammen mit formativem Feedback und Reflexionsgesprächen bewährt. Auf der Grundlage ihrer Beobachtungen und Gesprächsergebnisse melden die Lehrenden dem Team eine beschreibende Bewertung und Verbesserungspotential für die Zusammenarbeit als Team und für den Arbeitsprozess zurück. So fließt die Beurteilung noch in den Lernprozess ein.

Weitere Punkte für die Abstimmung der Lehrerenden sind der Umfang und die Art der Betreuung der Studierenden und der Vermittlung von Fachinhalten durch Vorträge, Exkursionen, Begehungen oder Lehrmaterialien.

Oft bringen die Partnerdisziplinen unausgesprochen fachlich geprägte Annahmen davon mit, wie ein Projekt abzulaufen habe. Deshalb sollten die Kooperationspartner ihr Projektverständnis möglichst früh offenlegen, damit sie sich in ihren Erwartungen annähern können. Denn die Vorstellung davon, wie in einem Projekt vorzugehen sei, wird bereits die Kooperation im Arbeitskreis sowie die Aufgabenstellung für das Studienprojekt prägen.

• Soll die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Projekt nach dem Modell einer arbeitsteiligen und effizienten Lieferkette ablaufen, in der jedes Fach seinen Beitrag zu einem geplanten Termin und an einer definierten Schnittstelle im Prozess zuliefert? Dann gibt es wahrscheinlich die Erwartung, dass auch die Aufgabenentwicklung und Organisation des Projekts im Arbeitskreis so strukturiert werden sollten. Die Aufgabenstellung wird dann eher kompetitiv angelegt sein und das Ergebnis in den Fokus stellen.

• Oder bedeutet ein interdisziplinäres Studienprojekt eher ein interaktives Erkunden und agiles Entwerfen von individuellen Lösungen ohne festes Vorgehensmodell – im Vertrauen darauf, dass sich in einem gemischten Team auch auf diesem Weg alle Fächer einbringen können? Dann stehen vor allem ausreichend Zeit für den Dialog im Arbeitskreis, eine möglichst weite Aufgabenstellung mit und der kreative Arbeitsprozess im Studienprojekt im Vordergrund. Die Vergleichbarkeit der Projektergebnisse spielt eine untergeordnete Rolle.

• Oder wird interdisziplinäre Zusammenarbeit als logischer Problemlöseprozess verstanden, in dem sich gemeinsame konzeptionelle Entscheidungen mit arbeitsteiliger Entscheidungsvorbereitung und Detailausführung und Einbeziehung von Dritten abwechseln wie im Design Thinking? Dann wird man versuchen, genau diese logische Verzahnung in der Aufgabenstellung abzubilden und großen Wert auf Kreativmethoden, Entscheidungstechniken und die Einbeziehung von Anwendenden und Laien im Prozess und in der Beurteilung des Ergebnisses legen.

Ein gemeinsames Studienprojekt wird strukturell dadurch erleichtert, dass Studiengänge ähnliche Studierendenzahlen aufweisen, das Projekt im Pflichtcurriculum mit gleichen Credit Points anrechenbar ist und in der lehrveranstaltungsfreien Zeit stattfindet. Unterschiedliche Credit Points können durch Zusatzleistungen im jeweiligen Fach ausgeglichen werden, z.B. durch Hausarbeiten. Schwieriger ist es, ausgewogene Studierendenzahlen in den Teams zu erreichen, wenn die Projekte nicht im Pflichtbereich verankert sind. Die Studierendenzahlen bleiben dann trotz intensiver Werbung für das Studienprojekt oft bis zuletzt unberechenbar, sodass eine gleichmäßige Verteilung der Disziplinen über die Teams nicht gewährleistet werden kann und im Extremfall sogar eine Mischung aus interdisziplinären Teams und monodisziplinären Teams im Projekt entsteht.

Ein weiterer günstiger Faktor für das Gelingen eines Studienprojektes ist ein kollegiales und kooperatives Klima im vorbereitenden Arbeitskreis. Das heißt, dass alle Fächer gemeinsam und auf gleicher Augenhöhe die Verantwortung für das Studienprojekt übernehmen, die organisatorischen Lasten fair zwischen den Disziplinen verteilen und untereinander zuverlässig und vertrauensvoll kommunizieren.

Den Ausgangspunkt von interdisziplinären Lehrkooperationen bilden häufig persönliche fachübergreifende Netzwerke. Auf Dauer brauchen interdisziplinäre Studienprojekte aber auch einen institutionellen Rückhalt, um über personelle Wechsel hinweg Bestand zu haben, z.B. zentrale Koordinator_innen, feste Ansprechpartner_innen in den Fachbereichen, eine einfache Administration von fachbereichsübergreifenden Lehrveranstaltungen im Campusmanagementsystem und die ausdrückliche Berücksichtigung von interdisziplinären Lehrformaten in den Lehrdeputaten sowie in der Studiengangsentwicklung und Evaluation.

Dirsch-Weigand, A. & Hampe, M. (2018). Interdisziplinäre Studienprojekte gestalten. Aus der Praxis für die Praxis. Bielefeld: wbv Bertelsmann.