Studienprojekte gestalten

Was versteht man unter einem Studienprojekt und welche Vorteile bietet dieses Lehr/Lernformat?

Projektförmiges Arbeiten ist Alltag in Wissenschaft und Wirtschaft. Das Deutsche Institut für Normung definiert ein Projekt als ein „Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, z. B. Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle und andere Begrenzungen, Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben und projektspezifische Organisation“ (DIN 69901-5). Projekte haben das Ziel, eine Lösung für ein komplexes Problem zu entwickeln (Stöhler 2016, S. 2). In der Regel wird ein Projektteam mit Akteur_innen aus unterschiedlichen Funktionen und mit Fachkompetenzen gebildet, die den Arbeitsprozess weitestgehend selbst planen, strukturieren und steuern.

Auch in der Lehre hat sich das Format Studienprojekt etabliert (Holzbaur u. a. 2017, S. 77-81). Es ist in Form von Entwicklungsprojekten für technische Produkte teilweise in großem Umfang in die Curricula der Ingenieurwissenschaften eingegangen, z. B. an der niederländischen Universität Eindhoven und der dänischen Universität Aalborg (Dombrowski & Marx 2018, S. 190). An der Universität Darmstadt wurden seit den 70ger Jahren Studieneingangsprojekte im Maschinenbau und den Bauingenieurwissenschaften zu interdisziplinären Studienprojekten in nahezu allen Fachbereichen weiterentwickelt. Weit verbreitet sind Studienprojekte außerdem in den Wirtschaftswissenschaften, um die Konzeption und Organisation von Prozessen und Dienstleitungen zu trainieren, oder in gestalterischen Studiengängen, um Entwürfe und Designs zu erstellen (Holzbaur u. a. 2017, S. 77-81; Stöhler et al. 2016, 1-4). In den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften ergänzen Studienprojekte andere aktive Lehr/Lernformen wie Seminare, Übungen und Praktika.

Analog zu Projekten in der Arbeitswelt sind Studienprojekte Lehr/Lernformate, in denen Studierende über einen definierten Zeitraum hinweg weitgehend selbständig sowie nach eigenen Vorstellungen eine Lösung für eine authentische Problem- oder Fragestellung entwickeln. Dies kann z. B. ein Produkt, ein Verfahren, eine Dienstleistung, eine Veranstaltung, ein Experiment, ein Forschungsdesign oder ein gestalterischer Entwurf sein. Authentisch meint hier, dass die Problem- oder Fragestellung entweder direkt aus der beruflichen Praxis in Wissenschaft und Wirtschaft kommt oder zumindest dort vorstellbar ist.

Die Studierenden agieren arbeitsteilig oder kollaborativ im Team, sodass das Ergebnis ein Gemeinschaftsprodukt ist. Sie wenden spezifische fachliche Methoden zur Lösung des Problems und Strukturierungs-, Planungs- und Steuerungsmethoden für die Organisation ihrer Arbeit an. Das Projektergebnis wird sichtbar gemacht, z. B. in Form eines Entwurfs, Prototyps oder Modells, einer Dokumentation oder Präsentation.

Lehrende betreuen die Studierenden mit dem Ziel, sie möglichst umfangreich für die Selbststeuerung des Projekts zu befähigen und zu aktivieren. Studienprojekte können als Blockveranstaltung, semesterbegleitend oder mit freier Zeiteinteilung organisiert sein. Die Projektteams können unterschiedlich groß und unterschiedlich zahlreich sein.

Employability und Schlüsselkompetenzen

Studienprojekte in der Hochschullehre sollen die Studierenden direkt auf die berufliche Projektpraxis in Wissenschaft und Wirtschaft vorbereiten. Im Vergleich zu anderen Lehr/Lernformaten zeichnen sich Studienprojekte dadurch aus, sowohl fachliche Fertigkeiten und Handlungskompetenzen (Schneider & Preckel 2017, S. 55) als auch allgemeine Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Konflikt- und Problemlösefähigkeiten, Fähigkeit zur Selbststeuerung und Fähigkeit zum Wissenstransfer (Keller & Köhler 2016, S. 154, 155) sehr wirksam aufzubauen.

Didaktische Chancen

Über den sehr gut herstellbaren Praxisbezug hinaus werden in der Literatur mehrere didaktische Chancen betont, die dieses Lehr/Lernformat bietet (Hartung 2017, S. 30-41, Dirsch-Weigand & Hampe 2018, S. 23):

  • Vertiefung und Überführung von theoretischem Fachwissen in fachliche Handlungskompetenz durch die praktische Anwendung
  • Stimulation von aktivem Lernen, indem die Studierenden sich aktiv und zum großen Teil selbstgesteuert Kenntnisse und Fähigkeiten erarbeiten
  • Ganzheitliche und integrierte Entwicklung von fachlichen, organisatorischen und sozialkommunikativen Kompetenzen durch situiertes Lernen
  • Stärkung von Selbstorganisation und Verantwortungsbereitschaft durch die eigenverantwortliche Arbeitsorganisation im Team

Studierendenzufriedenheit

Studienprojekte bieten außerdem die Chance, die Studienzufriedenheit in der Studieneingangsphase zu erhöhen und die Studienabbruchsneigung zu vermindern, weil ihr Anwendungs- und Praxisbezug die Identifikation mit dem Studienfach unterstützt, die Interaktion mit den Lehrenden die akademische Integration fördert und die Zusammenarbeit mit Kommilitoninnen und Kommilitonen das soziale Klima im Studium verbessert (Wagner 2018, S. 60-78).

Durch eine entsprechende Gestaltung und Kooperation mit Forschungseinheiten, Unternehmen oder gemeinnützigen Einrichtungen können sie sowohl forschungs-, berufs- und gesellschaftsorientiert und/oder international ausgelegt werden und damit einen Beitrag zu Forschendem Lernen , Service Learning oder diversitätsbewusstem und interkulturellem Lernen leisten. Da sich alle Studienprojekte um die Lösung eines Problems drehen, weisen sie auch eine große Nähe zum problembasierten Lernen auf.

Studienprojekte sind für Lehrende attraktiv, weil sie …

  • damit die Weiterentwicklung von theoretischen Kenntnissen zu fachlichen Handlungskompetenzen und den Aufbau von sozialkommunikativen und organisatorischen Kompetenzen bei den Studierenden so intensiv wie in kaum einem anderen Format fördern können,
  • sich mit internen und externen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft vernetzen und Anregungen aus anderen Fächern oder der Berufspraxis erhalten sowie nach außen und in der eigenen Hochschule sichtbar werden können,
  • in direkten Kontakt zu den Studierenden kommen und vielversprechende Studierende als studentische Hilfskräfte für Lehre und Forschung finden können,
  • mit den Studienprojekten eine Brücke zwischen Lehre und Forschung schaffen können.

Ressourcen, Infrastruktur und Administration organisieren

Auf welche Aspekte muss bei der Organisation von Studienprojekten geachtet werden? Lesen Sie hier mehr zum Thema.

DIN 69901-5:2009-01. Projektmanagement – Projektmanagementsysteme – Teil 5: Begriffe.

Dirsch-Weigand, A. & Hampe, M. (2018). Interdisziplinäre Studienprojekte gestalten. Aus der Praxis für die Praxis. Bielefeld: wbv Bertelsmann.

Dombrowski, U. & Sabine Marx, S. (Hrsg) (2018). KlimaIng – Planung klimagerechter Fabriken. Problembasiertes Lernen in den Ingenieurwissenschaften. Heidlberg, Berlin: Springer Vieweg.

Hartung, B. (2017). Stärkung des Theorie-Praxis-Bezugs mit problembasiertem und projektbasiertem Lernen. Zwei Lernformate im Vergleich. Perspektiven guter Lehre, HDS.Journal, Ausgabe 02/2017, Tagungsedition, S. 24-30.

Holzbaur, U. et al. (2017). Die Projekt-Methode. Leitfaden zum erfolgreichen Einsatz von Projekten in der innovativen Hochschullehre. Wiesbaden: Springer Gabler.

Keller, U. & Köhler, T. (2016). Vergleich der Anwendbarkeit von PBL in verschiedenen MINT-Fächern. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, Jg.11/Nr.3, S.153-172.

Schneider, M. & Preckel, F. (2017). Variables Associated with Achievement in Higher Education: A Systematic Review of Meta-Analysis. Psychological Bulletin. Advance online publication 143/6, 565–600. http://dx.doi.org/10.1037/bul0000098 bzw. https://www.researchgate.net/profile/Michael_Schneider18/publication/311789042_Variables_Associated_With_Achievement_in_Higher_Education_A_Systematic_Review_of_Meta-Analyses/links/58d8cde2aca2727e5e06f4f3/Variables-Associated-With-Achievement-in-Higher-Education-A-Systematic-Review-of-Meta-Analyses.pdf (wird in neuem Tab geöffnet) (10. Jan 2019).

Stöhler, C., Förster, C. & Brehm, L. (2016). Projektmanagement im Studium: Vom Projektauftrag bis zur Abschlusspräsentation (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Wagner, L. (2018). Der Studieneingang als formative Phase für den Studienerfolg. Analysen zur Wirksamkeit von Interventionen. Befunde und Empfehlungen. In: Tagungsdokumentation zur Transfertagung „Studienerfolg in der Studieneingangsphase“ am 15.02.2018 an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, im QPL-Begleitforschungsprojekts „StuFo – Der Studieneingang als formative Phase für den Studienerfolg. Analyse zur Wirksamkeit von Interventionen“ (Mainz, Potsdam, Magdeburg)